April 2022: Ostern und Straftaten

Auweia, Karfreitagskolumne. Da ist’s mit Musik wohl Essig, sonst tanzt noch jemand plötzlich dazu und ich werde dafür rechtlich haftbar gemacht. Sorry, Partypeople, aber das ist mir zu heißes Eisen. Es gibt ja viele Kirchenkritiker, die Jesus unterstellen, er hätte an diesem Tag sicher geschwoft wie verrückt, aber das glaube ich nicht. Ich schätze vielmehr, er hatte an jenem Tag den Kopf voll mit anderen Dingen. Aber das finden wir auf die Schnelle nicht mehr raus, wie auch immer, das große Tanzverbot scheint mir ebenfalls recht übertrieben, und ausgerechnet heute hätte ich auch wirklich Bock auf einen furiosen Flamenco oder einen lasziven Lambada. Statt dessen tröste ich mich mit Lumumba und der Vorfreude auf die opulenten Eiertage, die bevorstehen. Dabei feiere ich überhaupt kein Ostern. Wozu auch? Ich verbringe schließlich ca. 300 Tage im Jahr damit, Sachen zu suchen, die ich vorher selber versteckt habe, um sie nicht mehr suchen zu müssen. Steuerunterlagen, Schlüssel, Passwörter, Socken, Würde, usw. Kürzlich fand ich auf Tour eine lang verschollene Dose Ravioli mit Haltbarkeitsdatum bis Juni 2018 in meinem Gitarrenkoffer wieder, und das auch nur, weil ich erneut nach meiner Zahnpastatube gesucht hatte. Die dazugehörige Eselsbrücke fiel mir daraufhin auch sofort wieder ein: Ravioli → Camping → Zelten → Lagerfeuer → Gitarre. Eigentlich ganz logisch, oder?

Ravioli  → Essen → Küche wäre natürlich auch gegangen, aber wer will schon so Mainstream sein?

Am nächsten komme ich der österlichen Eiersuche, wenn ich die Katzenklos von Bernie und Charly säubere, denn wenigstens hab ich da nichts selbst versteckt, zumindest meistens nicht. Für den USB Stick mit meinen neuesten Aufnahmen gibt’s sicher eine gute Erklärung oder wenigstens eine Eselsbrücke. Wenn ich sonst mit dem Schäufelchen durch das Streu siebe, stelle ich mir meistens vor, ich sei ein Goldschürfer in Klondyke, das macht den Vorgang etwas erhabener, zumal ich auch ein sehr erfolgreicher Goldschürfer wäre, bei dem, was ich da täglich zutage fördere. Die zwei haben anfangs auch äußerst interessiert zugeschaut, etwas skeptisch ob meines Talents, aber inzwischen vertrauen sie mir entweder blind oder sie sind einfach gelangweilt vom Treiben ihres Kloputzers, drum chillen sie nur noch mit baumelnden Hinterbeinen in ihren Hängematten und überlegen, was sie denn als nächstes verstecken könnten, um unser Zusammenleben etwas aufregender zu gestalten. Besonders originell in der Auswahl der Gegenstände sind sie allerdings noch nicht, sie beschränken sich bislang ausschließlich auf Haargummis und Tischtennisbälle, und da muss man ehrlich sagen, beides sucht man nicht besonders enthusiastisch, selbst wenn man sie mal echt benötigt. Zum Glück, denn was ihre Verstecke angeht, die sind wirklich unauffindbar.

Ich weiß über Ostern sehr wenig, obwohl ich dank meiner Messdienerzeit eigentlich total profund in allen katholischen Bereichen sein müsste. Aber gerade die Osterzeit war für uns Messdiener total stressiges Business, weil wir alljährlich aufgrund der enorm hohen Schlagzahl an Messen mit Extrabohei heftige Personalengpässe ausgleichen mussten, so dass für Killefitz wie Hintergrundinfos oder Details gar keine Zeit mehr blieb. Es ging um irgendwas mit Weihrauch und Wiedergänger, das wussten wir, das musste reichen. Meine Ostertage als Messdiener waren wahrscheinlich die einzige Zeit in meinem Leben, in denen ich mindestens an einem Burn Out kratzte.

Das Eiersuchen war dafür nur ein unzureichender Ausgleich. Zudem: Da hetzt man stressgeplagt von Morgenmesse zu Mittagshochamt, und soll sich zwischendurch seine dringend benötigten Energieschübe auf Zuckerbasis auch noch selber aus den Rabatten fummeln? Klingt mehr nach FDP-Philosophie als nach christlicher Nächstenliebe.

Ich war sowieso schon früh viel zu cool für dieses öde Ostereierversteckspiel, denn für mich war das längst zu kindischem Kleinkram geschrumpft. Ich hatte nämlich bereits den nächst größeren Schritt getan: Osterhasen verstecken.

Ich war höchstens fünf und mit meinen Eltern in den Ferien auf Ameland, und die Pension, in der wir wohnten, verfügte hinterm Haus über ein paar Ställe mit duften Hasen. Ich war hingerissen und durfte schon bald mitfüttern. Fortan bestand der Urlaub für die gesamte Familie Kühn ausschließlich aus Löwenzahnrupfen und Karottenkaufen, anstelle von Radtouren und Strandspaziergängen, denn da waren schließlich Hasen, und ich nicht gewillt, sie auch nur eine Minute länger als nötig aus den Augen zu lassen. Der absolute Knaller kam dann aber zum Ende der Ferien, als mir die Pensionsinhaber verkündeten, dass ich mir einen Hasen aussuchen und mit nachhause nehmen dürfe. Die Wahl fiel mir nicht schwer, ein Kamerad war mir aufgrund seiner Fellfluffigkeit längst besonders ans Herz gewachsen, ein schwarzer, enorm adrettohriger Kerl, der etwas verschmitzter mümmelte als die anderen. Ich taufte ihn auf den Rockernamen „Peterchen Süßlein“ und hieß ihn, seine Sachen zu packen, um mit mir zu kommen.

Meine Eltern freuten sich mehr innerlich über den Familienzuwachs, hielten aber freundlich die Tür   auf, damit ich samt Hase und Käfig ins Auto klettern konnte, und ab ging die Heimfahrt. Es war die abenteuerlichste Heimfahrt meines Lebens, denn meine Eltern erklärten mir, dass wir nun eine große Hürde zu meistern hätten, an der sich das künftige Schicksal Peterchen Süßleins entscheiden würde. Sie hieß „Zoll“, und es war höchst illegal und gefährlich, Tiere über Ländergrenzen zu schmuggeln. Gefängnis, Tod und ohne Nachtisch ins Bett drohten uns, sollten wir mit einem niederländischen Hasen im Auto auf dem Weg nach Deutschland erwischt werden. Sie rieten mir darum eindringlich, mich am Zoll schlafend zu stellen, und den Käfig sorgsam mit Kissen und Taschen zu verdecken. Ein stilles Gebet wäre auch nicht schlecht. So bretterten wir durch die Nacht, es war mindestens 17 Uhr, und in meinem Kopf purzelten diverse Szenerien von Flucht und Kampf, während Adrenalin meinen Körper fast zum Glühen brachte. Es war furchterregend und toll.

Am Zoll angekommen, stellte ich mich so gut schlafend, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben gemacht hatte, nicht mal, als ich im Bett heimlich auf Zahnfeen oder Schrankmonster gewartet hatte. Ich schnarchte sogar ein paarmal genial auf. Unter den Kissen umklammerte ich fest den Käfig und beschwor Peterchen stoßgebetsmäßig inständig, mit hasentypischem Krach zu warten und auch bitte nicht ausgerechnet jetzt mit dem Sprechen zu beginnen. Sobald wir wirklich safe wären, könne er dann sehr gerne mal so richtig mit mir kommunizieren, aber jetzt wäre es sehr ungünstig. Mit dem Fuß angelte ich derweil vorsichtig nach dem Türgriff, denn mir war klar, sollten wir jetzt auffliegen, würde ich mich auf gar keinen Fall in mein Schicksal fügen, sondern ratzfatz aus der Karre springen, und samt Hase im Käfig mysteriös in der Nacht verschwinden, um frühstens in fünf Jahren als gemachter Mann mit grenzübergreifend akzeptiertem Peterchen Süßlein wieder heimzukehren. Für meine Eltern tat mir das zwar leid, aber mir blieb nun mal gerade keine Wahl, außerdem würde ich das alles mit Geld und Gold später wieder gutmachen.

Während ich derlei Pläne schmiedete, war unser Auto indes ohne Kontrollhalt über die Grenze gewunken worden und nach Deutschland in die absolute Sicherheit gerollt. „Hah!“ rief ich siegesgewiß, als mein Vater mir das mitteilte, wischte die Tarntaschen vom Käfig und riß die Fäuste gen Himmel, kurbelte dann das Fenster runter, streckte der sich entfernenden Grenze beide Mittelfinger entgegen und brüllte in die Nacht: „Torsten: 1! Staatsmächte: 0!“

Oder so ähnlich, beim Ende bin ich mir nicht mehr ganz so sicher. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es damals wirklich so verboten war, einen Hasen über die Grenze zu transportieren. Aber ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass das mein erster Totalkick aufgrund einer vermeintlichen Straftat war, und dass der sich unglaublich angefühlt hatte. Für einen großen Moment war ich unbesiegbar gewesen, frei und gefährlich, ein Pirat und Robin Hood, und außerdem noch ein Hasenbesitzer. Was kann man sich mehr wünschen?

Kein Wunder, dass von da an Eiersuche gegen Hasenschmuggel nicht mehr anstinken konnte. Andererseits: Selber suchen und finden macht auch wirklich Laune. Oft vergißt man das, weil man von allen Seiten so bequem zugefüttert wird. Aber Bequemlichkeit ist nicht immer die komfortabelste Lösung. Das könntet ihr euch ja demnächst mal wieder ins Gedächtnis rufen, bevor ihr mich von den Vorteilen irgendwelcher Spotifyempfehlungen zunölt. Geht lieber mal selbst auf die Suche nach Musik, denn was ihr da findet, überrascht euch womöglich selbst. Aber das nur mal so nebenbei, als Beispiel. Vom Tierschmuggel rate ich selbstverständlich aus vielen Gründen ab, darunter moralischen wie juristischen. Das ist sowieso nur was für echte Adrenalinjunkies wie mich. Ihr habt’s ja gerade selbst mitverfolgen können.

Jedenfalls: Süßkram ist nicht gleich Süßkram, und oft stellen sich Hasen als Kaninchen raus. Peterchen hätte mir da sicher beigepflichtet. Ich geh‘ jetzt wieder Goldschürfen.


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

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Dieser Artikel wurde am: 15. April 2022 veröffentlicht.

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