Ein spontanes Debüt

Also, den Einzug in die glückliche Welt des Tough Magazines hatte ich mir auch anders vorgestellt.  Einen schönen Text schrieb ich, er handelte von Konzerten und Pogo und war gar überbordend vor randvoller Kelche blühender Stilblüten. Rock and Poll, sozusagen. Nun scheint er mir aber gar kein passender Einstieg mehr zu sein, denn inzwischen sitzen alle daheim und sehnen sich nach gemeinschaftlicher Bewegung, und da möchte ich nicht noch mittels meiner Ausführungen zum wilden Rhythmustanz Salz in die Wunden angenarbter Stagedivekörper streuen.

Jedenfalls nicht als erstes, darum verschieben wir jene Kolumne, und beschäftigen uns heute mit was anderem. Womit, kann ich im Moment noch nicht genau sagen, denn ich bin etwas abgelenkt von einer Liveschaltung auf Facebook, die ich zum Morgenkaffee genießen wollte. Fred, mein Bandkollege von den Monsters of Liedermaching ist nämlich gerade online, und er unterhält die guten  #stayathome-people mit Musik, Bandnews und Infos aus seinem Briefkasten. Er ist sehr unterhaltsam und bestimmt auch schlau, aber er hat einen Nachteil: Er ruckelt wie ein Piratenschiff im Orkan, und zwar einem Orkan, der wie von Geisterhand zwischendurch die Welt einfriert. Wäre das ein guter Filmstoff? Eher nicht. Fred ruckelt aber übrigens nicht aus Lampenfieber oder Groove. Eigentlich ruckelt auch gar nicht er, sondern meine Internetverbindung lässt ihn permanent stoppen, verstummen, einfrieren, holpern. Sie ist charakterlich sehr schlecht, und mein Router ist aus Zeiten lange vor Fax und Telefon, und ich vermute, er wurde aus einem Agrargerät zusammengebastelt. Aus einer Ackerfurche womöglich.

Wie gesagt, Fred auf Facebook ist sehr gut, aber ich höre immer nur die erste Hälfte von jedem Satz, dann steht er still und ich muss den Rest erraten. Dafür bin ich eigentlich zu ungeduldig, aber alles andere im Internet habe ich schon gesehen.

Für mich hat sich nämlich freizeitgestalterisch in den letzten Tagen nicht soviel geändert. Ich saß bereits vor Corona meistens rum und schaute zu. Wenn man sich aber irgendwann dabei erwischt, wie man ein Video ansieht, in dem sich zwei Youtuber darüber wundern, dass Brausetabletten sich auflösen, wenn man sie frittiert, formulieren sich Fragen über den eigenen Lifestyle von ganz allein. Haben sich genug Fragen angehäuft, sollte man auf diesen Haufen drauf klettern und den Ausblick vom Gipfel genießen. Ist der Ausblick schön, dann Gratulation und Prosit.

In meinem Fall bemerke ich leider dringenden Aufräumbedarf, bei mir siehts aus wie Kraut und Rüben. Also zurück auf den Boden der Tatsachen, und energievoll losgelegt. Ich beginne mit dem Ordnen meiner Plattensammlung, denn das ist nicht ganz so öde, wie zum Beispiel das Ordnen von Steuerunterlagen.

Meine Platten wollte ich immer schon mal nach thematischen Inhalten sortieren, bin aber bislang daran gescheitert, weil sie doch einander sehr ähneln. Zum Verwechseln sozusagen. Ich höre eigentlich nur entweder humoristische oder kritische Lebensbetrachtungen und Sauflieder. Okay, Liebe kommt ebenfalls vor, fällt dann aber eigentlich auch immer in eine der drei Kategorien. Am besten sind die Liebeslieder zum Saufen. Und bei denen lande ich jedesmal sehr schnell, wenn ich die Sammlung sortieren will, und weil man dazu eben trinken muss, war’s das dann auch wieder mit Ordnen. Statt dessen komme ich vom Hölzchen auf’s Stöckchen, ziehe da eine LP der Pogues raus, danach schreie ich mit Henry Rollins um Vergebung, schimpfe mit Eminem auf seine Exfrau und irgendwann drehen sich die Roten Rosen auf dem Plattenteller und die Nachbarn klopfen im Takt dazu. Abgerockt und heiser lasse ich mich hernach aufs Sofa fallen und klicke mich trunken durchs Internet. Wow, zwei Youtuber frittieren Dinge! Interessant. Neugierig bleibe ich hängen und frage mich gespannt, was wohl mit den Brausetabletten geschehen wird, die sie jetzt in den Topf werfen. Und über meine Schulter grüßt ein Murmeltier und kichert mich aus.

Kolumne von Totte


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of LiedermachingDie Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

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Dieser Artikel wurde am: 28. März 2020 veröffentlicht.

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