Mark Beneckes Leben ist facettenreicher als ein Insektenauge. Er ist nicht nur seit mehr als 20 Jahren Kriminalbiologe und Autor zahlreicher wissenschaftlicher Texte und Bücher für Jung und Alt, sondern auch Mitglied der Kölner Donaldisten, Präsident von Pro Tattoo, Musiker, politisch angagiert, Vegetarier und vieles mehr.
Hallo Mark. Wo erwische ich dich denn gerade?
Mark: Ich bin heute bei der Todesermittler-Tagung in Bremen und esse nun gerade ein Eis.
Ok. Dann legen wir mal los. Wissenschaftler verstecken sich ja oft in Ihren Laboren oder hinter ihren Büchern. Du bist viel unterwegs und gibst Kurse und Seminare, teilst dein Wissen mit der Allgemeinheit, mit interessierten „Laien“ und deine Vorträge sind immer sehr gut besucht. Hast du überhaupt noch Zeit für die wissenschaftliche Arbeit im Büro?
Mark: Ich bin ja nicht die ganze Zeit mit Vorträgen beschäftigt. Es gibt auch Fälle, da sitzt man mal 2 Tage nur im Labor und wurschtelt rum. Oder wenn ich einen wissenschaftlichen Artikel schreibe, dann sitze ich auch stundenlang rum und wälze meine Bücher. Meine Arbeit ist immer ineinander verschachtelt und findet alles gleichzeitig statt. Tina, meine Kollegin, sitzt meistens in Köln im Labor und organisiert alles so, dass alles ineinander verschachtelbar ist.
Sind in deinem Publikum denn viele Schaulustige, die eigentlich mehr auf den Gruselfaktor setzen als auf die Arbeit, die du machst und die Erkenntnisse, die du vermittelst?
Mark: Ich weiß nicht, vielleicht kommen manchmal Schaulustige. Aber die kommen garantiert nicht wieder, weil ich ja alles erkläre und das wird denen dann zu langweilig. Also die Leute, die meine Vorträge besuchen, sind immer sehr interessiert, die stellen Fragen, die auch für mich sehr interessant sind.
Wie schaffst du das, alles unter einen Hut zu bringen?
Mark: Das ist eine Frage von Effizienz. Ich arbeite eben mehr. Wir haben kein Wochenende, wir arbeiten 12 Stunden am Tag, da schafft man einfach mehr.
Deine Bücher haben trotz ihrer Sachlichkeit nicht den Charakter langweiliger Sachbücher sondern eher „True Crime“. Welche Motivation hattest du, Bücher zu schreiben?
Mark: Fiction könnte ich überhaupt nicht machen. Ich hab da überhaupt kein Gespür für. Erfinden könnte ich nichts. Es ist eher so, dass ich bei Dingen, die in der Wirklichkeit passieren, sehe, was daran spannend ist. Die Idee, Bücher zu schreiben, entstand daraus, dass ich mal für einen Verlag ein Lexikon für Forscher und Erfinder geschrieben habe. Das hat mir richtig Spaß gemacht, weil es da noch kein Internet gab und ich mir noch alles aus alten Lexika heraussuchen musste. Und dann sollte ich irgendwann für einen anderen Verlag ein kleines Heft über Kriminalbiologie schreiben. So hat sich das langsam entwickelt. Also eher nachfragegesteuert, weil die Verlage auf mich zukamen.
(© Rocksau Pictures)
Wenn du dich bei der Biologenarbeit oder auch Autorenarbeit hauptsächlich nach der Nachfrage richtest, gibt es denn auch etwas, was du für dich selbst machst? Wo du nicht einfach „nur“ reagierst? Welche Arbeit machst du denn am liebsten?
Mark: Was ich richtig gerne mache und deshalb auch so ein bisschen für mich mache, ist alles, was mit lachender Wissenschaft zu tun hat. Zum Beispiel habe ich ja jeden Samstag und jetzt auch fast jeden Sonntag eine kleine Wissenschaftssendung und wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich wahrscheinlich nur noch so was machen. Also echte wissenschaftliche Ergebnisse, die sich zwar lustig anhören, wo man aber was von lernen kann. Wobei das nicht heißt, dass ich auf die andere Arbeit keinen Bock habe. Ich mach das ja trotzdem gern. Die Leute fragen mich Sachen, die ich spannend finde. Also ist die Arbeit keine unangenehme, notwendige „Pflicht“ für mich. Die Mischung macht’s. Wie bei einem guten Salat, da ist ja auch viel mehr als nur eine Zutat drin.
Das Buch „Aus die Dunkelkammer des Bösen“ hast du zusammen mit der Kriminalpsychologin Lydia Benecke geschrieben. Hier geht es hauptsächlich um die Psyche des Menschen bzw. psychische Störungen, die man bei Serienkillern usw. beobachtet hat. Beeinflusst dein Wissen über „das tiefste Innere dieser Straftäter“ deine objektive Sicht als Kriminalbiologe bei der Aufklärung eines Falls?
Mark: Nein, inhaltlich nicht. Meine Arbeit wird dadurch aber effizienter und spannender. Stell dir vor, du besitzt eine Autowerkstatt. Anstatt einfach an jedem Auto, das reinkommt, ein bisschen rum zu basteln, ist es doch viel besser, als Werkstatt-Besitzer viele Fortbildungen in vielen Bereichen zu machen. Also für eine Skoda-Werkstatt ist es ja auch nicht verkehrt, sich mit der Technik von Mercedes-Benz auszukennen, oder? So ist das bei mir auch. Meine Perspektive ändert sich dadurch nicht. Ich bin nach wie vor der Experte für Spuren, aber ich kann z. B. besser mit den Tätern umgehen. Wenn zum Beispiel jemand antisozial ist, dann lügt der auch ständig. Da bringt es wenig, dem ins Gewissen zu reden, weil das bei dem sowieso nicht ankommt. Oder bei der Frage, ob ein Täter in die Psychiatrie oder in den Knast kommen soll. Selbst, wenn es rein rechtlich ganz egal ist, wo der Täter eingesperrt ist, macht es ja einen Unterschied, ob ein Täter in die Psychiatrie kommt und dort nach einer Therapie geheilt entlassen wird oder er im Knast seine Strafe absitzt und danach wieder straffällig wird. Deshalb ist es immer wichtig, einen Fall aus vielen Perspektiven anzuschauen, aus juristischer, psychiatrischer, Spuren sichernder Sicht usw. Einfach, damit wir so arbeiten, dass die anderen Beteiligten – Opfer, Täter, Gericht usw. – etwas praktisch Brauchbares davon haben und wir nicht einfach nur Insektenbeine sortieren, die keiner braucht.
Ist denn ein neues Buchprojekt in Planung?
Aktuell gab es eine Anfrage von einem Verlag. Eventuell eine Art Biografie. Nicht so sehr an Kriminalfällen festgemacht, sondern mit den allgemeinen Sachen, die man sonst nicht so erzählt. Vielleicht darüber, wie es ist, wenn man seit 25 Jahren quer durch die Welt gurkt und irgendwelche verrückten Aufträge annimmt, die sonst keiner machen will. Aber das ist nur eine Überlegung bisher.
Hast du einen Lieblingsfall?
Mark: Nein, die Fälle sind alle absolut gleich wichtig.
Ich würde gern mehr über dich persönlich erfahren. Was zum Beispiel: Was nimmst du mit, wenn du für 6 Monate auf eine einsame Insel ohne Strom, Internet, Handy usw. fahren würdest?
Mark: Also, wenn da Sonne wäre, würde ich da nicht hinfahren. Ich mag keine Sonne.
Ok, Alternative…nehmen wir eine Reise in den „Underground“!
Mark: Auf jeden Fall was zu Lesen, ein Swiss Tool [Eine Art Schweizer Taschenmesser mit Zange, Anmerkung der Redaktion] und natürlich eine Taschenlampe.
Dieses Bild ist bei den Mumien von Palermo aufgenommen (© www.benecke.com)
Du bist Donaldist. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Mark: Die D. O. N. A. L. D. ist die „Deutsche Organisation der nichtkommerziellen Anhänger des lauteren Donaldismus“. Wir erforschen ungeklärte Fragen, die in Entenhausen auftreten. Es gibt eine Art Kanon, also eine geschlossene Anzahl von Geschichten, und daraus muss man dann alles ableiten. Bei Entenhausen besteht der Kanon ausschließlich aus der Übersetzung von Erika Fuchs und nur den Zeichnungen, die Carl Barks gemacht hat. Ein Kollege hat zum Beispiel mal erforscht, welche Stromspannung es in Entenhausen gibt. In den Berichten ist die Zahl nicht enthalten, also muss man das aus Bildern ableiten, wo man eben sieht, wie die Leitungen verlegt sind usw. Seit 1-2 Jahren ist auch der Stadtplan von Entenhausen fertig, wo alle Geldspeicher, Häuser, alle Straßen und erwähnten Stadtpläne, die in Entenhausen an der Wand hängen, über viele Jahre hinweg zu einem großen Stadtplan zusammengefasst wurden.
Und ich hab gedacht, es wäre eine spezielle Art von Cosplay oder die Entenhausenform eines Mittelalterfestes. Das ist mir ja peinlich.
Mark: Nichts gegen Cosplay, ich habe sogar ein Sailor-Moon T-Shirt. Wir Donaldisten lesen alle gern die Barks-Fuchs-Geschichten und die meisten von uns sind halt alle an objektiver Forschung interessiert. So ergibt sich das dann. Wie jeden andere Forschung halt auch, sind es alles Spezialisten, die sich mit Spezialthemen beschäftigen.
Welche Themen erforscht du denn?
Mark: Forschung mache ich in der D.O.N.A.L.D. nicht direkt. Also ich habe zwei Themen. Zuerst eine sehr lange Interview-Serie, bei der ich Leute interviewe, die noch nicht komplett donaldisiert sind, die zwar die Motive kennen, aber nicht wissen, dass man das auch wissenschaftlich untersuchen kann. Und das Zweite ist, dass ich gern aufzeige, wie man bestimmte Bereiche verknüpfen kann. Zum Beispiel Donald hat ja so viele verschiedene Tätigkeiten, wie ich ja auch. In Entenhausen ist ein wichtiges Thema der soziale Aufstieg und ich zeige, wie man das auf donaldistische Art verwirklichen kann trotz Donalds permanenten grandiosen Scheiterns.
Uns als Rockmagazin interessiert natürlich sehr, welche Musik du hörst?
Mark: Manchmal höre ich aus dem Gitarrenbereich Doom Metal im Stream, aber das läuft wirklich nur so neben her. Wirklich auskennen mit den Songs und Interpreten tu ich mich nicht. Mein Credo lautet ja, bei gekaufter Gitarren-Musik erlaube ich nur die von Rammstein. Ansonsten höre ich eigentlich keine Gitarrenmusik, sondern fast nur elektronische Musik.
© Arek Goniwiecha / www.arek-photography.com
Ist Doom Metal nicht total düster? Ich finde, das hat immer was von Begräbnisstimmung? Zieht dich das nicht runter?
Mark: Nee, eigentlich nicht. Ich hab ja eh nur mit Sachen zu tun, die andere Leute eher komisch finden. Für mich ist das kein Problem. Also erstens, lenken mich die Texte und Melodien nicht ab, wenn das im Hintergrund läuft, während ich arbeite. Das könnte ich z. B. nicht bei so super abgefahrener Psychedelic Trance. Langsames Trance / Goa kann ich aber auch ganz gut im Stream hören. Bei Doom Metal mag ich auch die geilen Klangteppiche ganz gern. Das kannste auch 10 Stunden am Stück hören ohne dass du dich so genau darauf konzentrieren musst. Das ist einfach genau die „Schwingung“, auf der ich eh arbeite, so ne flächige, eher in die Breite gehende Stimmung.
Du machst auch selbst Musik?
Mark: Nicht wirklich. „Die Blonden Burschen“-Sache ist ja schon lange Geschichte [Anmerkung der Redaktion: Von 1989 bis 2000 gehörte Mark Benecke unter dem Künstlernamen Belcanto Bene der Schlager-Punk Band „Die Blonden Burschen“ an]. Ab und zu trete ich mal in Videos auf. Mit Sara Noxx mache ich ab und zu mal was zusammen. In den Song growle ich dann, oder ich spreche den Text einfach, wo dann von nem Musikproduzenten der Hall umgedreht wird. Ich würde das jetzt aber nicht Musikmachen nennen. Ich mache nur mit.
Hast du einen Herzenswunsch?
Mark: Also, was ich richtig gern machen würde und auch für super notwendig halte ist ein Konzept aus den USA, wo ich das auch gelernt habe, das nennt sich „forensic nursing“, also Krankenschwestern und -pfleger anlernen, wie man Spuren bei Sexualdelikten sichert. Das wäre eigentlich nicht viel Arbeit, aber das Konzept existiert hier bei uns einfach nicht.
Also Spurensicherung, bevor die Polizei oder eben du eintriffst, damit die Spuren bis dahin nicht verschwunden, verwischt oder wie auch immer, sind?
Mark: Ja richtig. Ganz genau.
Und warum gibt’s das nicht in Deutschland?
Mark: Das liegt daran, dass das hier in Deutschland eine Krankenschwester- bzw. ein Krankenpfleger nicht so einfach machen darf. Das ist nicht erlaubt. Hier müsste man Geld reinstecken, Kongresse machen damit die Leute darauf aufmerksam machen und dann würde man das sicher auch in 5-10 Jahren mit der entsprechenden Ausbildung problemlos ins Rollen kriegen. Aber hier fehlen einfach die Zuständigkeiten leider, weil jeder die Verantwortung auf andere schiebt oder es gerne selbst machen möchte, Rechtsmediziner, Polizei, Politiker, Biologe.. Und so geht das dann immer im Kreis. Für die Opfer ist aber nur interessant, ob es sehr schnell, sehr professionell und sehr menschlich gemacht wird – je niederschwelliger, desto besser.
Von meiner Seite war es das. Schade, dass unsere Zeit schon um ist. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, denn es war wirklich sehr spannend und interessant, etwas von dir und deiner Arbeit zu erfahren. Möchtest du unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben? Die letzten Worte gehören dir.
Mark: Ich danke dir auch. Ja, also: Sonne meiden und keine bunten Klamotten tragen (lacht).
Interview von Stefanie Kreft im Juni 2014
Header-Foto: Annie Betram – www.photoart.anniebertram.com
Fotos: Arek Photography / www.benecke.com / Rocksau Pictures
Schönes Interview!
Zum Herzenswunsch des Docs erlaube ich mir den Hinweis auf das Projekt „Netzwerk ProBeweis“ (http://www.mh-hannover.de/probeweis.html) – Zitat: „Eine zeitnahe Untersuchung zur Dokumentation von Verletzungen und zur Spurensicherung ist für ein späteres Strafverfahren jedoch von großer Bedeutung.
In den Untersuchungsstellen des Netzwerkes ProBeweis wird Betroffenen von körperlicher oder sexueller Gewalt daher eine vertrauliche, kostenfreie und gerichtsverwertbare Untersuchung durch speziell geschulte Ärztinnen und Ärzte angeboten.“
Genau das meinte der Doc doch – oder? Halte ich persönlich für ebenso wichtig wie er und hoffe, das Projekt macht Schule!
Beste Grüße
Doc. B.