„Aber nicht so kurz!“ kreische ich noch selbstbewusst, aber da hat’s bereits geschnippt. Verständnisfrei fragend blickt mich der nette Friseur nun über den Spiegel an und lässt dann achselzuckend meinen Zopf zu Boden fallen.
Na gut, auch egal. Ich hätte ihm das ja auch vorher sagen können. Eigentlich habe ich es ihm auch vorher gesagt, und sogar ein Foto mit meiner Wunschlänge gezeigt, doch da war er gerade abgelenkt, weil er sich mit den anderen Kunden, die sich in der Sitzecke des Salons fläzen, angeregt über irgendwas lustiges unterhalten hat. Ich weiß nicht genau, über was, denn sie sprechen türkisch, aber ich glaube, es ging um mich, denn alle zeigten dauernd auf mich, bevor sie lachten.
Ich kenne das Procedere, denn der Friseur ist mein Stammfriseur. Keinen anderen lasse ich an meine Haare ran, denn wenn er einen guten Tag hat, leistet er hervorragende Arbeit.
Leider hat er meistens miese Tage, deswegen gehe ich inzwischen auch nur noch höchstens einmal pro Jahr hin, aber ein anderer Friseur kommt für mich gar nicht mehr in Frage, was wiederum daran liegt, dass er mir dereinst an einem dieser miesen Tage zum Abschied derart grimmig „Na, kommst du jetzt nur noch zu mir!“ ins Ohr gekumpelt hat, dass ich mich nicht mehr getraue, irgendwo anders hinzugehen.
Sowieso, Friseure haben für mich mindestens genausoviel Autorität wie Finanzamt oder Zahnärzte, und genausoviel Angst habe ich vor ihnen auch. Unter anderem darum möchte ich sie nicht enttäuschen. Trotzdem passiert das jedesmal. Obschon ich bereits eine Woche vor dem Besuch beginne, mich adäquat mit Pflegeduschen, Schuppenshampoos, Kopfhautmassagen und Voodoobeschwörungen vorzubereiten, ist das Ergebnis stets dasselbe: Der Friseur steht hinter mir, hackt mit ruckartigen Bewegungen mittels Kamm diverse Schneisen in mein Haar, schüttelt verärgert den Kopf und grummelt dann etwas von wegen „Waschen“, „kaputt“ und „demnächst gefälligst früher kommen“. Dabei ist doch genau das der Grund dafür, dass ich immer erst so spät wiederkomme. Mein schlechtes Gewissen, verbunden mit der Furcht.
Dabei ist es übrigens völlig latte, welchen Friseur oder welche Friseurin ich in meiner Vergangenheit aufgesucht habe, alle waren enttäuscht von mir. Unterschiede gab es lediglich in der Art, in der sie das zum Ausdruck gebracht haben. Während mein aktueller Friseur eher wie ein drohender Sportsfreund agiert, behandelte mich seine Vorgängerin, eine ältere urdeutsche Dame in buddenbrookschem Biederfrauinterieur, wie den mißratenen Bruder des Protagonisten des Struwwelpeters, der beim Schulschwänzen erwischt wurde.
Ihr blieb ich auch nur deshalb über viele Jahre treu, weil es sich wie Nachsitzen anfühlte, und ich mir meine Versetzung nicht komplett versauen wollte. Irgendwann gab sie es allerdings von selbst auf und mich frei, und nun sitze ich eben regelmäßig bei meinem jetzigen Stammfriseur und versuche, angesichts meines Spiegelbilds die Tränen zurückzuhalten, denn ich weiß ja bereits aus Erfahrung, welcher kollektiven Häme hier Jammerlappen ausgesetzt sind. Statt dessen rede ich mir im Geiste gut zu und lüge mir was von „Farin Urlaub ohne Haarspray“ vor, um die Haltung zu bewahren. Jedenfalls, bis ich es aus dem Salon rausgeschafft habe, dann darf ich weinend zusammenbrechen.
Für gewöhnlich folgen einem Friseurbesuch etwa zwei Wochen Eremitage, aber diesmal geht das nicht: Morgen fährt meine Band auf Tour. Also frisurentechnisch jetzt: Eine Band und ein Außenhandelskaufmannspraktikant. Jedenfalls in meiner Wahrnehmung. Ich kenne mich aber auch nicht mit Außenhandelskaufmannspraktikantenfrisuren aus, das will ich gerne zugeben. But I feel so.
Ich sitze übrigens inzwischen bereits im Bandbus, einem Nightliner gar, denn wir fahren auf der Tour oft über Nacht, in Kojen schlafend und tagsüber bushausend. Leben auf großem Fuße, wobei: Size 42. Vor einem Jahr war’s noch 43. Aber gut, was soll’s. Die Zeit schrumpft, die Welt schrumpft, schrumpf‘ ich eben auch.
Funfact für Neugierige: Das Tourleben ist übrigens nur manchmal aufregend, aber dann kann man das keinem erzählen, weil sonst alle denken würden, man sei komplett beknackt. Ich schreibe für unsere die meisten Tourberichte, denn zu Beginn unseres Daseins hatten wir uns entschieden, uns aus künftigen Nostalgiegründen ein umfassendes Tourtagebuch zu führen. Damals, das heißt, vor 20 Jahren. Wir haben auch gut durchgehalten, nur von einem Konzert gibt’s keinen Bericht, zu dem Zeitpunkt hielten wir das Konzept für zu altbacken und überholt, aber ich schlief fortan unruhig und träumte bös und das ließ erst wieder nach, als ich die Tagebuchaktivitäten wieder aufnahm. Jetzt fluche ich wieder täglich, träume aber besser.
Irgendwann, geschätzt nach drei Jahren Tourleben, fällt einem beim Niederschreiben auf, dass sich die Tage doch sehr gleichen. Smudo hat mal in einem Interview gesagt, auf Tour sei ausschließlich das Konzert die Konstante, ansonsten sei alles immer anders. Also, entweder ist er ein extrem tagaktiver Hiphopper, oder die Konzerte seiner Band sind extrem unspontan. Oder er redet einfach wieder Quatsch, das kann natürlich auch sein. Es ist mir allerdings ein bißchen unangenehm, dass ich ihn schon wieder hier erwähne, denn er tauchte schon in meiner letzten Kolumne auf. Aber wirklich mal, Werbung für Bosch Küchengeräte, ich glaub‘, es hackt.
Zurück zum Touralltag: ich schlafe viel und lese wenig, das war mal umgekehrt. Auf dieser Tour wollte ich eigentlich auch wieder joggen, denn das ist so schön meditativ. Haha, kleiner Spaß. Aber mal im Ernst, Jogging hilft gut, den Kreislauf in Schwung und die Pfunde im Zaum zu halten. Gestern bin ich allerdings gleich aus der Koje auf meinen kleinen Zeh gehüpft, und der ist zu zart für meinen ungetümen Rest. Ich fürchte, ich werde vom süßen Nägelchen Abschied nehmen müssen. Machs gut, kleines Nägelchen, du warst ein treuer Panzer. Bis dahin humple ich jetzt, manchmal auch extra ein bißchen melodramatischer, zum Beispiel, wenn wir unser Equipment ausladen oder irgendwer Bier holen soll.
Wir sind inzwischen in Berlin angekommen, heute Abend spielen wir unser viertes Konzert, und so langsam komme ich hoffentlich in den Tourmodus rein. Ich bin nämlich nur semibegeisterter Rumreiser, was mich zu einer ganz sympathischen Sofagarnitur macht, aber nur bedingt tauglich als Tourbegleiter. Meine Launen wechseln wie Tagesgerichte in Bürokantinen, nur viel, viel öfter, außerdem habe ich einen Porzellanmagen und Abneigungen gegen Fußballfanclubgebaren, und in etwa jenes setzt leider immer ein, wenn Buben auf Reisen gehen. Ich werde inmitten der wachsenden heiseren Derbheit immer stiller und verkrieche mich in meinen innersten Kern, nur ab und an breche ich aus mir raus und dann gehen Tourdinge ab, die man eben dann keinem erzählen kann, weil sonst alle denken würden, man sei komplett beknackt. Huch, hier wiederholt sich ja schon ein Satz. Da sieht man wieder: Tourleben. Darum beende ich diese Kolumne jetzt redundanzprophylaktisch etwas früher als gewohnt, und verweise auf unsere Internetseite „monstersofliedermaching.de“ Da kommt gerade täglich neuer Lesestoff in unsere Tagebuchrubrik. Stehen schöne Sachen drin, kleine Alltagsstories und viel Lob und Love. Ihr seid herzlich eingeladen, mal reinzulesen. Aber wenn ihr’s wirklich spannend haben wollt, dann empfiehlt sich natürlich, uns unterwegs live und direkt (Copyright „die Fantastischen Vier“ #nurliebefürdievier) zu besuchen, denn wie gesagt: Das wirklich Aufregende, das kann man keinem erzählen, weil sonst alle denken würden, man sei komplett beknackt. Verdammt, wieder wiederholt. Es wäre zum Haareraufen, wären noch welche da. Egal, die Koje ruft. Vorübergehendes Fazit: Tourlife ist ein Gefühlsmoshpit voller Testosteronrabauken zu bittersüßen Stimmbruchchören. Schön und gut. Aber macht nicht so laut.
Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.
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