November 2022: Geburtstagskater und das politische Lied

Ich hatte Geburtstag. Blöder Anfang, ich versuch’s nochmal:

Gestern, am 14.11., feierte mein Alter Ego „Der flotte Totte“ sein 30jähriges Jubiläum. Das stimmt aber gar nicht hundertprozentig, denn heute haben wir bereits den 18ten November, und gestern haben bestimmt andere Leute auch dufte Jubiläen gefeiert, doch ich habe keine Lust, zu googlen. Obwohl, ich guck‘ doch mal nach. Aha, aha, das Marie Curie-Gymnasium in Ludwigsfelde feierte gestern 25 Jahre Marie Curie-Tag. Hihi, Jungspunde.

Ich gratuliere natürlich dennoch, denn Marie Curie ist natürlich eine Hausnummer. Gymnasium sowieso, sonst gäb‘ es ja schließlich nicht dieses ganz zauberhafte Lied von Adolf Noise namens „Gymnasium“.

Ich war auch noch auf dem Gymnasium, als ich zum ersten Mal als „der flotte Totte“ auftrat. Darüber habe ich jedoch schon was im Juli  hier geschrieben, das wollen wir nicht nochmal durchkauen.

Statt dessen möchte ich sehr gerne mit einer kleinen Ungenauigkeit diesbezüglich aufräumen, denn obschon euch das wahrscheinlich Jacke wie Hose ist, brennt es mir auf der Seele.

Warum heißt das eigentlich „Jacke wie Hose“?

Zum ersten Mal hörte ich diesen Spruch aus dem Munde meines Kumpels Michi, wahrscheinlich ging es in unserer Diskussion um irgendwas mit Bonanza, denn wir waren noch in der Grundschule, und da konnte wir uns ja auch nicht immer nur über „ein Colt für alle Fälle“ streiten.

Jedenfalls war ihm irgendwas egal. Mir nicht. Und zusätzlich konnte ich mit diesem blöden Spruch auch nichts anfangen. Was sollte der Scheiß? Konnte ja wohl keinem weniger egal sein, ob man jetzt ’ne Jacke oder ’ne Hose kriegt. Der Bonanzastreit verlagerte sich augenblicklich in einen Redewendungsstreit und bis zum nächsten Tag waren wir fortan Todfeinde auf ewig.

Heute weiß ich selbstverständlich, dass sich die Redensart darauf bezieht, dass einst beides aus demselben Stoff hergestellt wurde. Genau genommen weiß ich es erst exakt seit heute, denn auch das habe ich gerade eben noch nachgegooglet. Nichtsdestotrotz möchte ich Michi im Nachhinein in diesem Punkt recht geben, ausdrücklich nicht aber, was die Bonanzasache angeht, Jacke wie Hose,  worum es sich da dabei auch gehandelt haben mag.

Jacke und Hose trug ich mit Sicherheit bei meinem allerersten offiziellen Soloauftritt, denn es war November und er fand im Freien statt. Es war Freitag der 13te, und jetzt, wo ich das Datum bewusst niederschreibe, wundert mich eigentlich gar nichts mehr.

Der Anlass war eine Kundgebung unter dem Motto: „Gegen Rechtsextremismus in Schulen und anderen Lehranstalten“, oder so ähnlich, und sie fand einen Tag vor der ganz großen Demo gegen Rechtsextremismus statt, auf der dann auch unter anderem Grönemeyer und Die Toten Hosen aufspielten. Insgesamt erinnere ich den Herbst/Winter 92 noch sozusagen als ständiges Kerzenhalten gegen rechte Gewalt, denn spätestens mit den unseligen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August gleichen Jahres, hatte das Ausmaß öffentlich ausgeführter rechtsextremistischer Gewalt eine neue, beängstigende Qualität.erreicht, gegen die nun allerorts bemüht angestrahlt wurde. Die goldenen Zitronen sollten diese ehrenwerten, aber auch etwas naiv hippiesken Bemühungen kurz darauf in ihrem famosen Aufklärungspunklied „Das bisschen Totschlag“ nicht ganz unzutreffend als „Wettbewerb der Leuchten“ besingen.

Dennoch halfen Lichterketten und Demos zumindest ein wenig gegen das Gefühl, ohnmächtig und alleine dem wachsenden Wahnsinn gegenüberstehen zu müssen. Damals wie heute.

Und auch ich hatte mich nun, am Vorabend des 13ten, tatsächlich an das heiße Thema rangetraut, und zwar gleich, nachdem ich von besagter Kundgebung Wind bekommen hatte.

Mein Kumpel Flo hatte mir davon erzählt, als wir in meinem Zimmer saßen, und ich ein wenig darüber jammerte, dass ausgerechnet am Samstag, dem 14ten, dem Tag meines ersten Soloauftritts die Hosen nebenan spielen sollten.

„Die Idioten! Da kommt doch keiner zu mir!“ heulte ich und zog wütend an meiner Old Holborn, doch Flo, Pragmatiker erster Güte, hatte sofort eine Idee.

„Tritt doch am Tag davor auf der kleinen Demo auf und mach Werbung, dann kommen bestimmt davon total viele zu dir.“ schlug er vor.

Ich überlegte etwas drauf rum. .

„Und wie soll ich da auf die Bühne kommen?“

„Geh hin und frag einfach. Klappt bestimmt.“

Ich blieb zweifelnd.

„Und was soll ich da singen? Der Hund ist tot?“

„Der Hund ist tot“ war damals mein größter Hit. Kurz zum Plot: Es geht um einen Hund, der seinem Herrchen Bier kaufen will, es aber nicht bekommt, weil er noch keine 16 ist, und sich darum enttäuscht selbst umbringt, indem er sich überfahren lässt. Der Refrain bestand aus „Schalala“-Gesang.

„Na ja.“ Jetzt grübelte Flo skeptisch. „Vielleicht schreibst du schnell noch ein Lied gegen rechts?“

Den Vorschlag ließ ich mir ein paar Minuten durch den Kopf gehen, dann gab ich mir einen Ruck.

„Ok. Aber du begleitest mich dahin, klar?“ forderte ich, und Flo schlug ein.

„Logo.“

Dann düste er ab, irgendwas frickeln, weil er eigentlich immer irgendwas frickelte, und ich setzte mich sofort aufgeputscht an den Anti-Nazi-Song.

Tags drauf war das Ding im Kasten, ich konnte ihn sogar komplett auswendig. Ich spielte ihn noch sicherheitshalberFlo zwecks Qualitätskontrolle vor, er fand ihn wahrscheinlich genial, wenn ich mich recht erinnere, und derart egogestärkt düsten wir mit der Bahn nach Bonn.

Die Kundgebung fand auf dem Bonner Münsterplatz statt, gleich zu den Füßen Beethovens, oder wenigstens des großen Denkmals des mächtigen Ludwig van.

Davor war eine riesige Bühne aufgebaut, größer als alle Jugendzentrumsbühnen dieser Welt, mit anderen Worten: Da parkte ein LKW, auf dessen Ladefläche ein Mikro stand.

Jetzt kam der schwerste Teil, nämlich, irgendwelche zuständigen Personen zu finden und dann anzusprechen, um mich erfolgreich feilzubieten. Ich war bereits mit den Nerven fertig.und versuchte Flo zu überzeugen, dass das hier total öde und ein Cheeseburger bei Mc Donalds nebenan die viel bessere Aktion wäre, doch Flo schüttelte nur den Kopf und schob mich gewaltsam zu zwei Herren, die wichtig diskutierend neben dem LKW-Anhänger standen. Es waren zwei bebrillte Jungs, altersmäßig höchstens Drittsemester, beide vom Erscheinungsbild eher Typ Schülerzeitungsredakteur, vielleicht noch stellvertretender Schülersprecher, aber jetzt, wo ich zitternd vor ihnen stand, schienen sie drei Meter groß und derbe gesichtsbehaart.

„Sorry…“ machte ich selbstbewusst auf mich aufmerksam, dann probierte ich es mit „…Entschuldigung….“, und schon bei der vierten Wiederholung hatte ich sie am Haken.

„Was gibt’s denn?“ frugen sie, und jetzt drehte ich total auf:

„Ja, also, ich heiße Torsten Kühn und ich bin auch Schüler gegen rechts und so und morgen spielen ja die Toten Hosen und ich heiße auch der flotte Totte und ich find‘ auch Rechtsextremismus scheiße, also wie gesagt, bin ich auch dagegen und ihr macht ja so eine Kundgebung heute, also jetzt gerade, und ich hab ein Lied…“

„Du hast ein Lied?“ unterbrach mich einer der beiden aufgeregt.

Ich nickte selbstsicher. „Mhm.“ Dann begann ich zu erklären: „Das Lied ist auch gegen Nazis, so vom Thema, und darum…“

Weiter kam ich nicht, denn jetzt unterbrach mich der zweite:

„Du hast also ein Lied! Kannst du das spielen?“

Ich nickte wieder und zeigte meine Gitarre.

„Heute? Hier? In fünf Minuten?“

Nun kam gar nicht mehr zum Nicken, denn beide wurden augenblicklich ganz hektisch, tuschelten kurz rum, dann sprang einer der beiden auf die Bühne und kündigte mich direkt an. Der andere räuberleiterte mich hinterher und ich wusste gar nicht, wie mir geschah.

Es war wohl so, dass die beiden Jungs hier zwar das gesamte Drumherum prächtig organisiert hatten, Bühne, Flyer, Werbung, etc., nur an ein Programm hatten sie nicht so richtig gedacht, und die ein, zwei, Redner*innen, die zugesagt hatten, waren noch nicht da.

Die Kundgebung hatte aber inzwischen bereits offiziell begonnen, und der Vorplatz sich mit redlichen, doch ebenso erwartungsvollen Schüler- und Student*innen gefüllt, während auf der Bühne bislang bloß der Sauerstoff entertainte. Welch‘ Koinzidenz.

Plötzlich stand ich auf dem LKW und blickte in über hundert Augenpaare, oder 1000, oder 20, egal, ein Meer an Augen und dazugehörigen Menschen.

Um nicht sofort ohnmächtig zu werden, griff ich die Gitarre fester und torkelte ans Mikrophon, stellte mich kurz vor, Torsten Kühn, Gitarre und Lied und Schule und vor allem auch gegen Rechts, dafür bekam ich sogar schon den ersten vereinzelten Applaus, und dadurch bestärkt, spielte ich jetzt meinen Song.

Der Song hieß „Hallo Skinhead“, denn irgendwelche szenekulturellen Feinheiten kannte ich noch nicht und Glatze plus Bomberjacke war für mich automatisch Nazi. Oder Fascho. Eigentlich beides.

Leider besitze ich keine einzige Aufnahme mehr von diesem Lied, darum kann ich nur noch die erste Strophe rezitieren, obwohl ausgerechnet die wohl bestimmt die schwächste war.

Ich hatte nämlich extra einen humoristischen Song geschrieben, weil es in meiner subkulturellen Suppenschüssel, vom Hosensong „Sascha“ abgesehen, eigentlich nur ganz ernste Lieder gegen Nazis gab. Heiter bis Wolkig kannte ich noch kaum und Die Ärzte hatten noch Sendepause. Mein Song war ironisch gebrochen, und ich begann zunächst lobend, um alle auf die falsche Fährte zu führen:

„Hallo Skin, du bist unheimlich gut / vor dir, da zieh‘ ich glatt meinen Hut / denn du hast doch sofort erkannt / dass die deutsche Rasse die beste ist, die jemals rumgerannt / um jeden zu verprügeln, wenn er nicht deutsch ist / damit sich jeder, der nicht arisch ist, aus Deutschland verpisst“

Im Refrain drehte ich dann den Spieß kongenial um:

„Aber Skin, kannst du mir mal erklärn / ich wüsste doch zu gern / hast du wirklich überhaupt kein Gehirn?“

Zack! Das saß!

In den folgenden Strophen, es waren mindestens noch vier, wahrscheinlich aber eher acht, machte ich mich dann ausgiebig über ihre Haltung, Klamotten, Blödheit und Klischees lustig, und vielleicht gab es auch noch eine Abschlusspointe, ich weiß es wirklich nicht mehr.

Mit Sicherheit steckte da eine ordentliche Portion vom oben erwähnten „Sascha“ mit drin, aber . „Er war stets bemüht.“, höre ich heute die Geister der Vergangenheit nachsichtig flüstern, die durch meinen Kopf mäandern.

Auf der Kundgebung jedenfalls, war der Song ein voller Erfolg, mag sein, weil alle froh waren, dass überhaupt mal endlich was on Stage passierte, aber womöglich auch, weil der Song gar nicht so übel war, wie ich ihn jetzt hier rede.

Überglücklich adrenalinbefeuert wollte ich unter tosendem Applaus abtreten, doch die zwei Jungs stellten sich mir nun in den Weg und flehten inständig, noch einen weiteren Song zu spielen.

„Ich weiß nicht, ich hab aber nur noch ‚Der Hund ist tot’….“ gab ich zögernd zu bedenken, doch sie intervenierten, doch, doch, der sei ganz klasse, unbedingt solle ich den noch spielen.

Anscheinend war eine der zwei geplanten Redner*innen gestern noch im BlaBla versackt und heute gar nicht erst erschienen.

Ich spielte also auf einer Kundgebung gegen Rechtsextremismus meine erste Zugabe vom toten Hund, und eventuell war das Publikum einfach noch nicht so weit, denn der Anschlussapplaus war nicht ganz so bombastisch wie beim Skinheadsong. Aber eure Kinder fahren da ganz sicher total drauf ab.

Ich war auf jeden Fall komplett high vom Rausch der Bühne und ready für alles, was noch kommen mochte. Ich packte mir Flo und wir ließen die Veranstaltung bestgelaunt hinter uns, um Diebels Altbier zu kaufen und den Erfolg gehörig zu feiern.

Zu meinem Solokonzert am nächsten Tag kam übrigens leider überraschend niemand von der Kundgebung. Vielleicht hätte ich das Konzert da doch auch mal erwähnen sollen.

Und jetzt sitze ich hier, 30 Jahre später, eine Wärmflasche zwischen die Füße geklemmt, einen Becher erkalteten Kaffees neben dem Rechner, und ich vermisse zum ersten Mal seit langem, mir eine Zigarette zu drehen, anzuzünden und anschließend dem Rauch nachzublicken.

Ich vermisse auch viel von den Gefühlen, die ich damals hatte. Mit Freunden. Beim Musikmachen. Beim Ausprobieren. Aber das geht wohl vielen so. Nostalgie versucht ja stets, Verlust zu kompensieren. Ich lass das jetzt mal so stehen, ob’s stimmt oder nicht.

Aber vielleicht wird’s ja auch langsam Zeit, mal wieder in der Gegenwart anzukommen, auch wenn die gerade eine stimmungstechnisch eher mäßig Zeitzone zu sein scheint. Vielleicht wird’s zudem Zeit, mal wieder was Neues auszuprobieren, keine Ahnung, was. Oder Zeit, etwas auch mal zu beenden.Vielleicht sind 30 Jahre genug. Ich weiß es nicht, aber es könnte ja sein.

In einem Interview antwortet der Sänger der legendären Band The Idiots auf die Frage nach der Definition von „Punk“, Punk sei für ihn, „dass man in den Spiegel guckt und sich selbst sieht.“

Das finde ich einen ganz zart funkelnden Satz. Doch was kann man tun, wenn einem das, was man da sieht, nicht mehr so gefällt?

Ich gucke rein und muss gestehen: Meine Zähne werden stumpf, meine Seele hat Rücken. Andererseits: Wieso überhaupt „Punk“? Und was soll diese ewige Punkdefiniererei? Das können meinetwegen Die Ärzte weiter machen. Ich bin dafür zu jung, mit meinen gerade 30 Lenzen. Und sowieso: Jacke? Hose? Eben. Wir werden sehen.


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

facebook:
www.facebook.com/derflottetotte

instagram:
www.instagram.com/der_flotte_totte

Dieser Artikel wurde am: 21. November 2022 veröffentlicht.

Ähnliche Beiträge

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert