März 2023: Fettes Brot zu Frühstücksflunkereien

Ständig dasselbe zu tun, in der Hoffnung auf ein neues Ergebnis, ist angeblich eine Definition von Wahnsinn. Ich halte das zwar für Quatsch, denn schließlich sind die äußeren Umstände ja immer neu, aber direkt knallts mir um die Ohren, dass Einstein das gesagt hat, oder Freud oder Danger Dan, und dann muss das schließlich stimmen, also nicke ich lieber bekräftigend und probiere heute mal, alles ganz anders zu machen. Ich habe mir eine Schüssel Frühstücksflocken eingeschüttet, statt Pfeffi Milch draufgegossen, den ganzen Kladderadatsch ganz geduldig schön matschig werden lassen, und löffele das Zeug jetzt, während ich im Bademantel in der Küche sitze und ein Konzertmitschnitt der Gruppe Fettes Brot anschaue. Siehe da, mein komplettes Life ist augenblicklich viel geiler als sonst. Zwar hasse ich Frühstücksflocken, egal ob weich, knusprig, in Pfeffi, O-Saft oder Milch schwimmend, die Küche ist kalt, der Küchenstuhl hart und der Bademantel ein Relikt aus meiner Zeit vor der Kommunion und entsprechend knapp, aber das Konzert ist gut. Allerdings ist das auch der einzige Programmpunkt, der auch an jedem anderen Tag auf meiner To do-Liste hätte stehen können. Ich mag Fettes Brot und finde sehr schade, dass sie sich auflösen. Andererseits habe ich, bevor sie das verkündet haben, eigentlich jahrelang überhaupt kein Fettes Brot mehr gehört. Ich gehe sogar noch weiter, ich habe ab und an ganz schön gestänkert gegen die drei Herren, zu allen möglichen Anlässen, die allesamt gemein hatten, dass sie weder was mit Fettes Brot zu tun hatten, noch ich jemals nach meiner Meinung über Fettes Brot gefragt wurde.  Aber ich bin halt ein Stänkerer, das liegt mir im Blut. Ich schäme mich auch oft dafür, wirklich oft, aber zuerst wird immer ordentlich gestänkert. Gegen Fettes Brot gestänkert zu haben, tut mir jetzt auch leid, ganz im Gegensatz zu meinen Stänkereien gegen deren ältere Brüder, die fantastischen Vier. Die machen jetzt Werbung für Bosch Küchengeräte, doch sie waren auch schon vorher einfach unsäglich, und nicht umsonst lautet das unschlagbarste Argument, das den kulturellen Niedergang des Hamburger Schanzenviertels beweist: Smudo wohnt jetzt da.

Ich habe Fettes Brot sogar mal selbst live erlebt, in der Color Line Arena, das war leider nix, bzw., kann sein, dass es gut war, aber ich konnte weder was sehen, noch hören, das Geld für Großleinwände oder Lautsprecher wurde wohl anderweitig investiert. Ich erkannte lediglich drei Pünktchen da vorne, die hüpften. Ich hopfte, denn an mobilen Bierverkaufsmenschen war nicht gespart worden. Es wurde also ein HüpfHopf-Konzert sozusagen, immerhin.

Aber Stadionkonzerte sind eigentlich sowieso immer Müll. Kein Wunder, dass sie soviel Zulauf haben. Menschen wollen viele sein und das geht eben nur mit kleinsten Nennern. Oder größten Nennern? Welche sind nochmal die richtigen Nenner, Männer? Jedenfalls: Wo alle reinpassen sollen, muss man nun mal die Kanten abschleifen, sonst tun sich alle weh.

Worauf wollte ich gerade hinaus? Mir ist ganz blümerant vom Frühstücksflockenbrei, außerdem glaube ich, im Bademantel wohnen Zwicktierchen. Überall kratzt und juckt es. Fettes Brot erzählen in dem Konzertvideo bei einem kurzen Blick hinter die Kulissen, sie würden ihre Bühnenklamotten aus Frischeduftgründen allabendlich mit Wodka einsprühen, weil sie auf Tour nicht täglich zum Waschen kommen würden. Sie berufen sich dabei auf Madonna, von der der Tipp angeblich stammt. Einen anderen Tipp von Madonna las ich in den frühen 80ern als Praeteenie in der Bravo, sie empfahl dort das Pinkeln unter der Dusche als sinnliches Erlebnis, und mir wurde beim Lesen etwas seltsam in Bereichen. Leider hatten wir nur Badewannen. Inzwischen habe ich zwar eine Dusche, aber keine Waschmaschine, weshalb ich den Wodkatipp viel interessanter finde.

Ich habe nur wenige Stadionkonzerte besucht, eigentlich außer Fettes Brot nur noch die Rolling Stones und Guns ’n‘ Roses. Vom Stoneskonzert berichtete ich hier bereits und von den Guns ’n‘ Roses habe ich gerade keine Lust zu erzählen. Sie haben gespielt und Slash hat gejammt und im Vorprogramm waren Soundgarden und Faith no More. Mike Patton rülpste ins Mikrophon, aber weil uns bereits gegen Mittag alles Geld ausgegangen war, konnten wir uns kein Bier mehr zum Nachrülpsen kaufen. Ich trug ein Alice Cooper-Shirt und ein gefährlich anmutender Konzertbesucher sagte im Vorbeigehen „cooles Shirt“, also war es ein äußerst gelungener Tag.

Unsere Clique in der Schulzeit war buntgemischt, das war das Tolle an meinem Freundeskreis. Von irgendwelchen öden Genreabgrenzungen haben wir uns nie ins Bockshorn jagen lassen, auf Feten liefen die Pogues und Ace of Base genauso wie Metallica, die Ärzte und Salt n Pepa.

Nur Deutschrap lief nie, denn den gab es noch nicht, außer „Die da“ vielleicht, das dann schon. Fanden wir sehr witzig, das Lied, aber wie oft kann man einen Witz schon nacherzählen? Allerdings, jetzt erinnere ich mich doch, dass Daniel damals auf einer Party im Proberaum der schuleigenen Heavy Metal Band Yormungander behauptete, er sei soeben per Anhalter gefahren und von den fantastischen Vier mitgenommen worden, die während der Fahrt ihre Frisuren für einen anstehenden Auftritt richteten und darüber hinaus alle keinen Schulabschluss hatten.

Es war klar, das musste stimmen, denn Daniel war einer der coolsten Dudes in unseren Kreisen. Ansonsten hörten wir aber eher abends bei Jörg oder Daniel, nicht dem Daniel von eben, sondern dem anderen Daniel, nämlich dem Kumpel von Jörg, Run DMC und Ice T und tranken Dosenhansa und Martini Bianco, weil die Chirurgen in MASH auch Martini tranken und fast so cool waren wie Daniel, also dem Daniel von eben, nicht dem Kumpel von Jörg, also dem Daniel, bei dem wir saßen und Run DMC und Ice T hörten und Dosenhansa und Martini Bianco tranken.

Mangels Basketballkorb spielten wir tagsüber Federball auf unserer Straße, und aus dem Ghettoblaster hämmerten Cypress Hill und Public Enemy, jedenfalls solange, bis Mama rauskam und schimpfend frug, ob wir den Schuss nicht gehört hätten, und die Nachbarn mit unserem krakeelendem Rumgepose auch ohne Drumcomputerviervierteltakt in Dauerschleife nicht schon genug gestraft seien. Wir fanden nein, Mama fand schon. Je nun, Straße bedeutet halt Stress. Oberdollendorf war unser Compton, statt Grill und Gras gabs gemischte Tüte und Tee in Tabak. Ab und an lief ein Drive by Shooting, aber eher selten, nie, um genau zu sein, schließlich waren wir die Herren der Hood und mögliche Feinde in unserer Altersklasse auch bestenfalls im Besitz eines Vespaführerscheins und abgesehen davon sowieso nonexistent.

HipHop war auf jeden Fall ein Riesending für mich und ich freute mich sehr, als zunehmend auch deutschsprachige Interpreten auf der Spielwiese mitzumischen begannen, denn erstens konnte man die Texte endlich verstehen und zweitens wurde der Stil dadurch endlich auch für uns anwendbar. Langsam begannen die ersten Keyboarddrums das Schlagzeug abzulösen, und ich deklamierte dazu erste zaghafte Sprechtexte in das Vierspuraufnahmegerät in Georgs Kinderzimmer. Etwa acht Jahre später nahm ich bei ihm übrigens einige Lieder für mein Debütalbum auf, zwar nicht mehr im Kinderzimmer, aber immer noch sehr zaghaft. Ein Rap war auch dabei. Egal.

Fettes Brot erreichte mich hingegen erst zur Zivildienstzeit im Krankenhaus, und ich war ihnen auf Anhieb böse. Der Grund dafür war, dass Susanne, eine studentische Aushilfe, mit der ich arbeitete, total begeistert von deren Single „Definition von Fett“ war und das letztes Geld des Monats für das Album „Auf einem Auge blöd“ ausgegeben hatte, nur um dann festzustellen, dass dort eine völlig andere Version des Songs drauf war. Das machte sie sehr traurig, und weil sie nicht nur traurig, sondern allgemein auch äußerst liebreizend war, litt ich sofort mit ihr und stänkerte lauthals gegen die Selloutschweine, um sie zu beeindrucken und ihr Herz zu gewinnen. Natürlich klappte das prima und wir sind noch heute ein Paar.

Ein paar Jahre zogen ins Land und mein Zorn verrauchte, zwischenzeitlich wurde mir die Musik des  Trios sogar zu einem liebgewonnenen Soundtrack in verschiedenen Lebenslagen, so etwa nach meinem ersten Hamburgbesuch.

Es war im Winter 1996 oder 97, ich bin zu faul zu recherchieren, und ein junger Mann namens Carsten, den ich auf einer Uniparty in Köln kennengelernt hatte, lud mich zu sich in den Norden ein, um mit mir die goldenen Zitronen live in der Markthalle zu erleben.

Ich packte mir zwei Bier ein und düste per Zug hin. Verabredet waren wir beim McDonalds im Hamburger Hauptbahnhof, aber da ich einen Orientierungssinn wie eine Fledermaus mit Kopfhörern habe, nahm ich Platz im McDonalds am Hauptbahnhof. Nach vier Mc Rib-Menüs begann ich langsam die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, im falschen Restaurant zu warten, ein Handy besaß ich nicht, also lief ich nochmal den Hauptbahnhof ab, fand McDonalds Numero Zwo, allerdings keinen Carsten mehr, denn inzwischen war es bereits halb zehn und das Konzert längst in vollem Gange.

Ein normaler Mensch mit Normalgehirn hätte nun wahrscheinlich am Infostand der Bahn den Weg zur Markthalle erfragt und so erfahren, dass die quasi direkt nebenan steht. Nicht so ich. Ich lief zum Taxistand, doch anstatt wenigstens da dann die Markthalle als Ziel anzugeben, gab ich Carstens Wohnungsadresse an. Nach etwa 30 Minuten erreichten wir diese, natürlich war niemand da, dafür hatte inzwischen ein Schneetreiben eingesetzt, das mich augenblicklich bis zur Hüfte einschneite. Dort stand ich dann über ein paar Stunden, unterbrochen nur von einem frösteligen Spaziergang zu einer nahegelegenen Tankstelle, um anständig gekühltes Dosenbier zu kaufen, hernach nahm ich wieder im alten Schneehügel Aufstellung.

Als gegen fünf Uhr früh immer noch kein Carsten aufgetaucht war, gab ich es schließlich auf, taumelte verfroren zum nächsten Taxistand und ließ mich wieder zum Hauptbahnhof bringen, von wo aus ich direktemang in den nächsten ICE gen Köln stieg. Dann schlief ich ein, verpasste Köln und landete in Bonn, wo ich mir aber, bevor ich mir ein neues Ticket für die hoffentlich letzte Heimfahrt zog, im Plattenladen Mr. Music die Fettes Brot-CD „Außen Tophits, innen Geschmack“ erstand, um zumindest eine Spur von Hamburg im Gepäck zu haben.

Endlich daheim in meiner Einzimmerbutze, war ich plötzlich wieder hellwach, griff mir eine Flasche Frühstücksbier aus dem Kühlschrank und legte die CD ein. Die Klänge von „Jein“, „Mal sehen“, „Wildwechsel“ und „Mikrokosmonaut“ lullten mich sofort in ein Gefühl von Verständnis ein und schenkten mir herzliche Wärme, und weil die Herren auf dem Coverbild zudem ziemlich verloren in einer Schlechtwetterfront rumstanden, empfand ich Parallelen zu meinem Hamburgerlebnis, fühlte mich ihnen innig verbunden und empfand sie fortan als brüderliche Leidensgenossen im Geiste.

Umso erstaunter war ich, dass König Boris mir nicht freudestrahlend und dankbar um den Hals fiel, als ich ihm 2004 mein Minialbum „Einhornhenkst“ schenken wollte. Es war am Hamburger Rathausmarkt, wo das Open Air „Rockspektakel“ stattfand. Ich war auch da, weil ich dort anderntags mit meiner Band „Monsters of Liedermaching“ auftreten würde. Die Sonnenbrille hatte König Boris nur unzureichend getarnt, er lehnte am Bierstand und wartete vermutlich auf den Auftritt der Beatsteaks. Jedenfalls wartete er sicher nicht auf mich, denn zwar nahm er meine CD brav entgegen und dankte auch höflich, aber weder lud er mich auf ein paar Jägermeister ein, noch dazu, künftig das Vorprogramm für Fettes Brot zu bestreiten, und das war ehrlich gesagt das mindeste, was ich als Reaktion erwartet hatte. Schließlich hatte ich mir derartige Begegnungen mit Popprominenzen schon jahrelang in knalligsten Farben und Auswüchsen detailliert in Gedanken skizziert und zudem heute bereits einige Exemplare vom erwähnten Kräutergeist in meine Selbstwahrnehmung gemixt.

Aber: niente. Da kam ja gar nichts zurück. Ich war schon sauer, entschied mich jedoch für Nachsicht und beruhigte mich damit, dass er mein Album schließlich noch nicht gehört hatte.

Ich gab ihm die Chance großherzig und gerne.

Doch nicht mal im Anschluss kam ein Feedback, in dem er sich für seine Kurzangebundenheit entschuldigte und mir zu meinem grandiosen Album gratulierte.

Nun war aber auch gut! Arrogante Rapsau.

Aus Rache erfand ich Aggro Berlin, und die zerlegten den ganzen HipHop-Zirkus aus Hamburg für immer und ewig. Für Dendemann, die Beginner, Fünf Sterne und Samy Deluxe tat mir das zwar leid, aber da konnte ich jetzt auch nichts mehr dran ändern. Die sollten sich dafür halt bei König Boris bedanken.

Heute kennt niemand mehr die die alten Helden aus Hamburg, sie sind komplett aus allen Timelines gelöscht. Und ich trage daran die Hauptverantwortung. Inzwischen tut mir das auch wieder sehr, sehr leid, denn es ist doch ein herber Verlust für den deutschen HipHop.

Auch Fettes Brot streichen jetzt die Segel. Sollte auch das meinetwegen geschehen, dann lasst sie bitte wissen, dass das nicht nötig ist. Ich habe Boris längst verziehen. Ich habe Fehler gemacht, weil ich das Stänkern im Blut habe und würde diese nur zu gerne wieder ungeschehen machen. Ich schäme mich zutiefst und will mich ändern. Das ist ja auch der Grund, warum ich heute endlich versucht habe, alles anders zu machen. Nicht wegen Wahnsinn. Ich will damit neue Ergebnisse erzielen. Würde ich Aggro Berlin jetzt noch einmal neu erfinden können, ich würde sie auf die fantastischen Vier ansetzen. Darauf schwöre ich jeden Eid. Ohne Scham und Reue. Werbung für Küchengeräte von Bosch! Unglaublich! Savas, übernehmen Sie.


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

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Dieser Artikel wurde am: 29. März 2023 veröffentlicht.

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