Juli 2021: Sports and Ducks and Rock’n’Roll

Es ist nun 5:30 Uhr in der Früh‘, und ich sitze auf meinem Futon, den Rechner vor mir aufgeklappt, um niederzuschreiben, was mir soeben auf meiner morgendlichen Dauerlaufrunde widerfahren ist. Also: Ich jogge allein durch die Dunkelheit, da plötzlich werde ich einer Hexe gewahr, die gebückt auf dem Deich steht, und kurz davor ist, mich anzuspringen. Totaler Horror!

Frage an die Leserschaft: Ist es der Spannung abträglich, wenn ich verrate, dass sich die Hexe als Schatten eines Baustellenverkehrsschildes herausgestellt hat? Falls ja, vergesst das bitte wieder und freut Euch auf eine mögliche Fortsetzung dieser Story.

Ich laufe seit etwas über einem Jahr mehr oder weniger regelmäßig, mindestens aber zweimal wöchentlich, und es tut mir wahnsinnig gut, physisch, wie psychisch. Dieser beständige Rhythmus, in dem sich der Körper bewegt, hat etwas meditatives, die fließenden Bewegungsabläufe sind wie eine gut geölte Maschinerie, geben zudem aber noch derart viel kreative Energie frei, dass ich mit dem Niederschreiben der vielen Ideen, die während des Laufs auf mich niederprasseln, kaum noch hinterherkomme. Ich hoffe, ich habe jetzt kein hohles Klischee ausgelassen. Das wär nämlich schade, denn wo und wann habe ich sonst schon die Gelegenheit, derart viel gehäuften Quatsch über die Vorzüge des Joggings abzuladen, ohne dass alle Zuhörer*innen zu Recht gelangweilt abhauen?

Selten, nur an sehr guten Tagen, schaffe ich’s tatsächlich, die Gedanken beim Laufen wilde Netzwerke spinnen zu lassen, Stories oder Lieder zu dichten oder Problemlösungen zu finden, die mir später in der Realität weiterhelfen können. Ist mir bislang dreimal passiert. Leider war ich danach zu faul, die Kreationen aufzuschreiben, weshalb sie für die Nachwelt futsch sind. Die Problemlösung hingegen stand ganz kurz vor der Vollendung, als ich einen kleinen Weiher passierte, auf dem sich eine Entenmama mit ihren Teenieküken lauthals über irgendwelche Teenieunarten stritt. Darüber verlor ich den Fokus aus den Augen und vermengte unterbewusst meins und das Enten-Thema, weshalb ich zum Ende der Laufstrecke zwar eine Lösung für mein Problem formuliert hatte, aber nur in Entensprache. Enten sind für die Konzentration in etwa so hilfreich wie diese Leute, die einem ständig ungefragt ihre Handys mit irgendeinem Instascheiß unter die Nase drücken, aber viel süßer. Aber worauf wollte ich noch hinaus? Ach, Enten…

Oh ja, genau, wie jüngst oben beschrieben, waren die seltenen sehr guten Tage beim Joggen. An allen anderen Tagen denke ich nur in Dauerschleife: „Oh Mann, ich kann nicht mehr, jetzt noch da den ganzen Deich lang, o je, erst die 2 Kilometermarke erreicht, ich hab Durst, jetzt hab ich auch noch einen Stein im Schuh, wie lange noch, ich kann nicht mehr, jetzt noch den ganzen Feldweg lang, o je…“, während ich theatralisch taumele, weil ich immer alles theatralisch überspitze, wenn ich gerade versage.

Zum Glück sieht mich kaum jemand, weil ich immer nur in Dunkelheit jogge, was allerdings im Sommer von mir abverlangt, zwischen 23 und vier Uhr morgens loszulaufen. Darum treffe ich eigentlich immer nur Katzen, Rehe, Schafe und Kühe. Ab und an auch Enten, Tauben und Möwen, aber gerade Möwen sind ziemliche Morgenmuffel und mit ihnen ist nicht gut Kirschen essen, wenn man sie morgens nervt. Ich wurde von ihnen schon den halben Deich lang gejagt und wäre beinahe von ihren Kackesalven volle Kanone begraben worden, hätte ich mich nicht in eine Autobahnbrückenunterführung retten können. Und das nur, weil ich unabsichtlich eine leere Coladose, die auf dem Weg lag, in ihre Reihen gekickt hatte. Immerhin, dank ihnen unterbot ich meinen Temporekord um siebzehn Minuten.

Abgesehen von solchen raren Erfolgsmomenten bleibt Jogging dennoch eine erbärmliche Quälerei, die ich sowieso nur begonnen habe, um etwas abzunehmen. Aber auch das ist zwecklos. Anscheinend nimmt man bei Laufen nur an den Fußknöcheln oder den Schulterblättern ab, mein Körper jedenfalls verformt sich mittig unaufhaltsam weiter in eine ungewünschte Rundlichkeit, darum bete ich, dass man bald wieder frei und fröhlich in die Schwimmbäder strömen darf, denn da trainiert man mehr Körperregionen und das ist auch vom Ding her nicht so blöde.

Oft hören Menschen Musik beim Jogging, aber das könnte ich nicht, denn die von mir bevorzugte Musik ist dafür ungeeignet. Klassik ist mir tempomäßig zu wechselhaft, bei HipHop bekomme ich Komplexe, Punkrock ist mir viel zu rasant. Außerdem schreien da alle immer so heiser, da denke ich dann nur daran, wie viel die wohl rauchen und dann tut mir selbst der Hals zu weh und mir geht die Luft aus. Ich bräuchte langsame, stumpf viervierteltaktige Instrumentalmusik ohne große Überraschungen, aber wer will sowas schon freiwillig hören?

In meinen jungen Jahren empfand ich Sport und Musik immer als unvereinbar, obschon es natürlich genügend Gegenbeispiele gab. Hörten wir HipHop, war ein Basketball quasi obligatorisch, in meinem Block, der Flurgasse, hatten wir sogar einen Korb über der Garage hängen, aber das war eher eine Begleitbeschäftigung zum Grimmigschaun und Malzbiertrinken, und die Musik durften wir wegen der Nachbarn auch nie richtig aufdrehen.

Ich hatte auch Freunde aus der Heavy Metal-Fraktion, die sich regelmäßig zum Gewichtestemmen trafen. „Eisen fressen.“ nannten sie das. Während sie die Hanteln schwangen, diskutierten sie mit Hingabe darüber, welches Metalmaskottchen am meisten evil war: Das von Megadeth, von Judas Priest oder von Iron Maiden. Ich weiß leider nicht, ob es je ein Endergebnis gab, aber ich bezweifle, dass sie den von mir in die Diskussion geworfenen „Monster- Erwin“ der Dimple Minds in ihre Wertung einbezogen haben.

Beim Punkrock aber hatte Sport nichts zu suchen. Na klar, die Toten Hosen hatten immer ihren Fußballkram, aber das wertete ich als pure Ironie, genauso wie diese Opelsache und das Altbierlied. Außerdem galten die Hosen in unseren Kreisen längst als Kommerzquatsch und wir lauschten viel lieber Molotow Soda, den Dead Kennedys oder Suicidal Tendencies, wegen Heftigkeit und Arschlecken. Besonders Suicidal Tendencies lieferten perfekte Songs zum Skateboarden, und das war ein Sport, der völlig okay war, weil man dazu cool angezogen bleiben konnte und Skaten sowieso von außen kaum als Sport wahrgenommen wurde. Ich war auch ein Skater, allerdings eher theoretisch, weil ich es bei meinem einzigen Skateboard nie bis zum Kauf von ein paar Achsen und Rollen brachte. Dafür surfte ich sehr oft auf dem blanken Skateboarddeck zum Soundtrack von Bad Religion, NOFX und den Hard Ons über meinen Kinderzimmerteppich, und ich war dabei höllisch wahnwitzig, natürlich auch mehr so theoretisch.

Tatsächlich joggte ich damals auch hin und wieder, allerdings nur aus dem einen Grund, dass meine Mutter, selbst eine ausdauernde Läuferin, ab und an leid war, stupide Runden auf dem Sportplatz zu drehen und lieber durchs Siebengebirge rennen wollte. Da sie aber fürchtete, dort dauernd von Mördern, Trollen, schweinischen Hexen und verhexten Wildschweinen belästigt zu werden, nahm sie mich als Sicherheitsgeleit mit, wo ich dann jedesmal sehr viel Kraft darauf aufwenden durfte, die konditionellen Auswirkungen meiner heimlichen Raucherei vor ihr zu verbergen. Vor Mutter beim Dauerlauf den Nichtraucher zu spielen, fühlte sich für mich jedenfalls auch nicht so nach Punkrock in höchster Vollendung an, sondern eher nach TKKG in uncool, und ich war nicht sehr böse, als die gemeinsamen Runs endeten, weil sie ihre sportiven Aktivitäten auf Aerobic daheim verlagerte.

Dass ich über dreißig Jahre später freiwillig wieder damit anfangen würde, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt. Immerhin war mein Plan gewesen, gar nicht erst in diese grauen Zeitzonen des Alterns vorzudringen. Aber gut, was sind schon Pläne oder Vorstellungen über das eigene Dasein? Auch nur schlecht konzipierte Werbespots, um einem das Weitermachen schmackhafter zu machen. Jetzt laufe ich also morgens um vier Uhr am Deich rum, winke den Schäfchen zu, die noch verschlafen mähen, frühstücke Mückenfamilien unter Laternen und jammere über den Weg, der noch vor mir liegt und niemals endet. Zumindest letzteres ist ja ein wenig Punkrock, schätze ich. Kann mich aber auch irren. Um sicher zu gehen, müsste man wohl die Ärzte dazu befragen, die beschäftigen sich ja seit Jahren ausgiebig mit dieser Frage. Ich hingegen glaube, die Antwort wissen am ehesten die Enten. Ist natürlich schwierig, diese Theorie zu beweisen, wegen Entensprache und so. Aber ich glaube daran. Und falls das wem hier nicht passen sollte: Duck Off.


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of LiedermachingDie Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

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Dieser Artikel wurde am: 15. Juli 2021 veröffentlicht.

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