Ich habe alles umgeschmissen, darum bin ich so spät dran. Seit Wochen geistert mir als Einstieg in diese Kolumne folgendes im Kopf rum: „Heute beim Joggen ist mir zweierlei passiert: Ich wurde angelächelt und hab‘ mich auf die Fresse gelegt.“
Im Anschluss wollte ich dann auf Lächeln und Textilien eingehen und im weiteren Verlauf auf Uniformierungen in Bands kommen. Bislang entwickelte sich der Text nach obiger Einleitung so weiter:
„Beides war irgendwie schön, könnte gar nicht sagen, was mir besser gefallen hat. Was Lächeln betrifft, ich bin ein großer Fan davon. Ich lächele oft und oft gar zuerst, ich lächele mich quasi wild durch die Botanik, denn ich bin der Ansicht, dass ein Lächeln sozusagen der vertrauensvorschießende Schulterklopfer des Vorbeigehens ist. Jedes Lächeln ist ein Zucken der Hoffnung. Oft wird ein Lächeln allerdings mit einer Gesichtsverkneifung beantwortet, die nicht gesund sein kann, weder für den Lächler, noch für den Kneifer. Es muss schrecklich sein, ein Leben zu führen, in dem man ein Lächeln für einen Angriff hält, den es abzuwehren gilt. Man macht damit die Welt faktisch schlechter. Ist doch traurig, oder? Das ist ähnlich wie beim ganzen Rechtsextremismus, ich habe schon als Kind allein aus egoistischen Gründen nie begriffen, warum Menschen es prinzipiell ablehnen, die Welt als bunten Bonbonschatz zu nutzen. Dazu muss man ja nicht mal andere Menschen mögen, es reicht ja bereits, wenn man sich selbst nichts vorenthalten möchte. Aber nö, lieber wird gestänkert, geschimpft und die Mundwinkel verkniffen. Tristes Dasein. Saublöd.
Ich gebe aber gerne zu, dass meine Gedanken zur Glücksstiftung durch Lächelei weder besonders einzigartig, noch ausgefeilt sind. Darum rasch weg davon und hin zum Fressefall. Hoppla, was für ein Wort: „Fressefall“. Gibt es das überhaupt? Oder gibt es nur den berühmten „Fressanfall“?
Ich wittere da eine spannende Storyline für einen Sat Eins- Movie: „Vom Fressanfall zum Fressefall – ein Joint ging rum beim Presseball!“ Die Handlung spielt auf einem Presseball, Moritz Bleibtreu ist Superjournalist und nicht eingeladen, kommt aber trotzdem und jubelt der allseits verhassten Chefredakteurin Andrea Sawatzki einen Joint unter, worauf die den ganzen Ball komplett auf links dreht und am Ende bei Moritz Bleibtreu die Hüllen fallen lässt, physisch wie seelisch. Also viel Gefühl und auch mit einer Message, zum Beispiel „lebe dein Leben“ oder „ein Gramm im Kopf, drei Kilo auf der Waage“, sowas in der Art. Ein smarter Film, ich warte auf Abnehmer. Nun aber zu meinem Fressefall: Der gefiel mir zunächst besonders gut, weil ein Sturz immer eine sehr gute Entschuldigung für eine Laufpause darstellt. Außerdem hat er nicht besonders wehgetan. Ich landete nämlich im Matsch, der mich abgefedert hat. Dufte Sache. Allerdings war mein Outfit danach beschmiert. Ich schreibe „Outfit“, denn das verleiht meinen durchlöcherten Textildesastern etwas Klasse. Außerdem schreibe ich ja auch „Jogging“, was mein Schneckentempogetaumel auch eher euphemistisch lamettat. Außerdem steh ich auf Outfits, denn sie verändern das Dasein. Nicht ohne Grund tragen Superhelden Outfits statt Klamotten. Mehr als deren Fähigkeiten, faszinierten mich immer deren Designs, darum war mir Batman zum Beispiel lieber als Gummimann. Von letzterem weiß ich nicht mal mehr den Namen, obwohl ich seine Superkraft, sich endlos dehnen zu können, unglaublich wünschenswert fand.Wahrscheinlich liegt das an meiner Körpergröße, würde mich fast interessieren, ob es anderen kleinen Menschen genauso geht, aber leider keine Zeit, keine Zeit…
Batmans Superkraft war mit meiner zwar ungefähr deckungsgleich und darum aus Erfahrung wertlos, aber er hatte die verdeckendere Maske, die Hakenhandschuhe und vor allem ein langes düsteres Cape. Ähnlich groovy lief nur der rote Blitz rum, aber weniger bedrohlich und vor allem Capefrei, und ohne Cape war alles scheiße. Ich kenne natürlich die Nachteile von Capes für Superhelden, die werden einem ja von allen Big Bang Theory-Fans stets sofort im Anschluß an die Anekdote, Indiana Jones hätte für die Jäger des verlorenen Schatzes überhaupt keinen Handlungseinfluss, erzählt, doch bei allen Capecontras darf man den entscheidenden Vorteil nicht unter den Teppich fallen lassen: Es verdeckt den Po, wenn man in der Öffentlichkeit rumsteht. Immerhin sind die sehr körperbetont und das kommt schließlich auch bei den besten Superhelden mal vor, dass die zwischen zwei Weltuntergängen mal einfach unbeachtet cornern wollen.“
Tja, und an dieser Stelle bin ich jetzt steckengeblieben. Seit zwei Wochen ist die Luft raus. Eigentlich wollte ich mit meinem Sturz in den Matsch dahingehend weiterführen, dass ich bereits als Kind zwischen zwei extremen Formen des Einkleidens pendelte: Extrem penibel und extrem abgerissen. Superclean oder völlig dirty. Keine halben Sachen. Dann bin ich aber abgedriftet und bei Heldenhintern gelandet. Ihr habt’s ja gerade selbst gelesen. Ich weiß jetzt nicht, wie ich da wieder rauskommen soll, zumal ich mir auch gar nicht so sicher bin, ob ich überhaupt die Wahrheit geschrieben habe. War ich als Kind wirklich aus Scham Umhangbefürworter? Schwer zu glauben, war ich doch auch Tarzan-Fan, und der trägt ja nicht nur Schlüpfer zur Liane, sondern jodelt auch noch affig durchs Geäst. Es ist zudem elterlicherseits gesichert überliefert, dass ich mit sechs Jahren im Hallebad zu Bad Honnef in roter Badehose auf dem Einmeterbrettchen stand und solange „Guckt mal her! Hergucken alle!“ brüllte, bis alle guckten, um dann mit markerschütterndem Tarzanjodler astreine Arschbomben hinlegte. Das spricht eigentlich gegen besonders ausgeprägtes Schamgefühl meinerseits in so ziemlich allen Belangen. Aber das führt jetzt nirgendwohin, darum stellt euch bitte nun folgendes vor: der sechsjährige Knabe (ich) springt jodelnd ins Wasser, Zeitlupe, die Wellen schlagen über ihm zusammen, dann beruhigt sich die Wasseroberfläche, und nun bricht samt funkelndem Tropfennebel majestätisch ein genialer stilistischer Übergang durch die Oberfläche. Er sieht exakt aus wie Terence Hill, denn wenn es je einen akzeptablen Gegenentwurf zu den reinlichen, stets gebrauchsspurenfreien Uniformen der Comichelden gab, dann die schmuddeligen, durchlöcherten Lumpen der Westernheldversionen von Bud und Terence. Eigentlich hätte jetzt zugegebenermaßen eher Bud Spencer als Übergangspersonifizierung aus dem Becken hüpfen sollen, das wäre inhaltlich korrekter, schließlich war er auch Profischwimmer. Doch da kann man nichts machen, ich mochte Terence immer lieber, denn er war der schlanke gewitztere Typ und außerdem lächelte er auch viel mehr als Bud. Er lief sogar immer noch eine Spur abgerissener herum als Bud, und es konnte mir nie verschwitzt und zerfetzt genug sein, denn wenn schon, denn schon, das Life ist zu kurz für Kompromisse. Bei den Comicsuperhelden empfand ich diametral, die wurden bereits durch eine Fluse komplett entwertet wie eine gestempelte Briefmarke. Ähnlich verhielt es sich in meinem realen Leben. Entweder kleidete ich mich rausgeputzt in Schmuck und Sakko oder ergötzte mich in Sack und Asche an jeder Schmutzsichel unter meinen Fingernägeln. Punkrock war dafür wie gemacht, denn natürlich sind Punkbands allesamt auch uniformierte Superheldengangs. Die Musik taugte darum im Grunde auch nur, wenn die Kostüme stimmten. Darum waren die Dimple Minds besser als die Stunde X, denn erstere lümmelten sich auf dem Bandphoto amtlich verlottert mit Dosenbier im Regen mit verdreckten Chucks auf einer Parkbanklehne, letztere hatten sich bloß Kuchen in die Gesichter gekleckert, ansonsten aber nur egales Textilwerk am Leib. Die Toten Hosen funktionierten dank des Damenwahl-Coverbilds hervorragend, niemand war bunter und gemusterter, dabei aber penibler in der Zusammensetzung. Störende Flecken auf den Blümchenleibchen? Selbstverständlich Fehlanzeige. Campino trug sogar einen Ansteckohrring und hatte seine Kaugummiautomatenringe schön symmetrisch zahlenmäßig gerecht auf beide Hände aufgeteilt. Gute Platte also. Sehr gut auch ihr Livealbum „Bis zum bitteren Ende“, denn darauf gab es viele Schnappschüsse, auf denen sie bis in die letzte Pore verklebt in Backstagemüllbergen schliefen. Löcher, Schweiß und Schmodder hatten die reinlichen Synthetikjoppen verdrängt. Auch gute Platte also. In den Jahren danach wurde das mit den Hosen für mich schwieriger, weil ihr Stil immer öder wurde, also ihr Kleidungsstil. Zur Musik kann ich nichts mehr sagen, weil ich die ja nicht mehr hörte, wegen ihres öden Kleidungsstils. Die Ramones wiederum waren zwar uniformiert, aber das war irgendwie nichts Halbes und nichts Ganzes, und das merkte man ihrer Musik natürlich auch an. Schnell wechselte ich zu den Hard Ons, denn die hatte ich nur auf Kassette überspielt und keinen Schimmer, was deren Outfits so hergaben, aber der Musik nach lag klar auf der Hand, dass sie sehr wild, mit Irokesen, Nietengürteln und Ketchupresten auf durchlöcherten Muscleshirts sein mussten.
Natürlich wünschte ich mir schon bald, auch eine eigene Band zu haben, in der wir uns stylemäßig als echte Gang präsentieren würden, genau genommen war das der Hauptgrund noch weit vor Mädchen oder Musik, und so entstanden die Innocent Persons. Letztlich aber scheiterten wir wohl genau daran. Weder Fürst von Metternich, noch Nicki ließen sich auch nur ansatzweise in ihren eigenen Stil reinquatschen, egal, ob ich es mit zerschnittenen Karohemden oder strahlenden Batikshirts probierte, und was unseren Schlagzeuger betraf, wurde der noch mütterlicherseits eingekleidet, denn er war mein Bruder Christian und erst elf. Wenigstens Claus Thaler konnte ich vom Kauf eines Sex Pistols-Shirts und eines Nietenarmbands überzeugen, aber nur unter der Auflage, künftig nicht mehr Claus Thaler heißen zu müssen. Wir waren ein chaotisch zusammengewürfelter Haufen, Lichtjahre von der coolen Anarchoeinheitlichkeit der Abstürzenden Brieftauben entfernt, und es war klar, so konnte das nichts geben. Eine kurze Zeit probierte ich es den Toy Dolls gleichzutun, und zumindest auf Konzerten kollektiv in Schlafanzügen und mit Sonnenbrillen aufzutreten, aber das wurde einstimmig nach der ersten Probe abgewählt. Sogar ich fühlte, dass wir nicht so leger daherkamen wie unsere Vorbilder in ihren Pyjamas, und unsere babyblauen oder dunkelbeigen Frotteeleibchen eher unsere Intimsbereiche gefühlt freilegten, denn schützten. Vielleicht hätten wir Capes dazu tragen müssen, und alles wäre gut geworden, wir eine echte Gang, und unsere Zukunft ein Feuerwerk erfüllter Verheißungen. Statt dessen drifteten wir auseinander und jeder ging seines Weges. Ich zum Beispiel den bis zu einer Liedermacherband, in der auch heute noch, nach 20 Jahren ihres Bestehens, jeder von uns seinem eigenen individuellen Scheißgeschmack treu geblieben ist, anstatt auf mich zu hören. Kein Wunder, dass alles so läuft, wie es läuft. Ich weiß allerdings auch nicht genau, ob ich mich, was uns betrifft, eher für die reinlich bunte Comicheldenvariante oder doch lieber für den abgewohnten Spencer/Hill-Look entschieden hätte. Ist auch inzwischen fast egal geworden, sogar in den Superheldenfilmen zerreißen heutzutage bereits nach einer knappen Stunde die Heldenkostüme und sie laufen in Fetzen umher. Das finde ich fatal. Überhaupt: Für Gummimann ein Kostüm kreieren können, mit dem er sich unbegrenzt rumdehnen kann, aber für Hulk keine passenden Hosen hinkriegen. Ist doch wirklich zum Haareraufen. Was immer ich mir bei dieser Kolumne gedacht habe, es ist zwischen die Zeilen geflutscht und wird sich nur sehr schwer wieder finden lassen. Zum Schluss dieser Kolumne wollte ich schreiben: „Ich beschau mich wohlwollend nachsichtig im Rückspiegel und mein Lächeln schmeckt blutig.“ Klingt sehr gut, wenn ich doch nur wüsste, was ich davor hatte schreiben wollen. Es heißt ja ganz richtig, der Kontext mache den Inhalt. Aber dazu muss ich auch anfügen, dass mein Lieblingstextil zur Innocent Persons-Zeit eine ballonartige Patchworkhose war. Ich trug sie so oft wie stolz, und seh ich heute davon Bilder, denke ich, das hätte ich auch gut lassen können. Aber ich bin froh, dass ich’s doch getan habe. Patchwork ist Inhalt ohne Kontext. Das passt auch gut auf diesen Text. Mal schauen, wie er auf mich in der Zukunft wirken wird. Wenn’s gut läuft, dann vielleicht ja auch so, wie ich zurückblickend auf mich in meiner Patchworkhose: Da beschau ich mich wohlwollend nachsichtig im Rückspiegel und mein Lächeln schmeckt blutig.
Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.
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