Hippie Trim – Morbid Orbit

7:30: Der Wecker klingelt. “Stimmt, es ist Montag…”. Schnell umziehen, ins Bad und Frühstück machen. Die Bahn kommt um 8:15 und um 9:00 macht das Büro auf. Der Kreislauf geht wieder von vorne los. Keine Ahnung, wie andere Menschen das für 20, 30 oder sogar 40 Jahre machen. Früher oder später muss man doch total frustriert sein, oder? So soll das Erwachsenenleben sein? Das möchten Hippie Trim auf Ihrer neuen EP „Morbid Orbit“ thematisieren. Den krankhaften Kreislauf, der schnell zum Burnout führen kann.

Mit dem ersten Track „Agent Mayhem“ geht es direkt mit der Thematik eines klassischen „9 to 5” Bürojobs los. Anzug, schicke Schuhe, Klimaanlage und Plastikblumen. Jeden Tag dasselbe. Jeden Montag der gleiche Small Talk mit nervigen Boomer-Kolleg:innen. Unterhaltungen, die man am liebsten vermeiden möchte. Musikalisch stechen am meisten die Drums heraus. Das Intro von Agent Mayhem ist sehr verspielt, was im Kontrast zum grungigen Bass und zur schrillen, verzerrten Gitarre im Laufe des Chorus steht. Das besondere im Verlauf des Songs ist die Kombination von Turnstile-esquem Hardcore-Punk mit sehr verträumten Shoegaze-Klängen.

„Falling Down“ – in Anlehnung an den gleichnamigen Film von 1993 mit Hauptdarsteller Michael Douglas – könnte ziemlich gut auf dem Soundtrack des Films vertreten sein. „I’m losing day after day“. Die Arbeit, die so viel Zeit beansprucht, dass keine Kapazitäten mehr für Freizeit bleiben: „I can’t come out and play“. Offensichtlich muss ein anderer Teil von einem selbst das Ruder übernehmen, damit eine neue Arbeitswoche überstanden werden kann. Die Demotivation und Trägheit wird super vom punkigen Breakdown widergespiegelt. Ein sehr einprägsamer Moment der EP.

Weiter geht es etwas verträumter in „Big Hit“. Die Gedanken aus „Agent Mayhem“ und „Falling Down“ reißen geradezu an einem: „Make me wish I was dead“. Die Mischung aus den klassischen Hardcore-Screams und der alternative Bassline bis hin zu benebelten Riffs stellen einen tollen Kontrast zur Thematik. Schließlich haben wir mit „Dog Days“ einen therapeutischen Ausbruch des Kreislaufs. Es wirkt wie ein gemütlicher Kneipenabend mit einem der engsten Kumpel, von dem man weiß, dass er ein offenes Ohr für die aktuellen Probleme hat. Die einzige Lösung ist ein Neuanfang, der schon lange nötig ist. Die Erschöpfung. Die Unzufriedenheit. Die Wut. Alles wird zurückgelassen.

Die EP lässt sich grob in zwei Stimmungen unterteilen: Zu Beginn ist es pure Wut auf das System. Alles ist schlecht und es wird einfach nicht besser. Die negativen Emotionen verlaufen sich leicht über die nächsten Songs hinweg und der Tonus ändert sich. Die Erkenntnis, dass eine Veränderung überfällig ist, löst Ruhe und Trost statt Angst aus. Der Kreislauf wird endlich gebrochen. Die Thematik des Frusts, der Enttäuschung und der Eintönigkeit haben Hippie Trim mit ihrem vielseitigen undfrischen musikalischen Ansatz tadellos umgesetzt. Die alltäglichen Probleme werden mit rauen Texten behandelt, um die Dringlichkeit der Veränderung zu untermalen. Im Vergleich zu den letzten Releases wirkt „Morbid Orbit” auf der musikalischen Ebene viel kreativer und verspielter. Hippie Trim wollen sich nicht in eine Schublade stecken lassen: Auf ihrer neuen EP sind Shoegaze, Grunge, Punk, Hardcore und Alternative Rock Elemente vertreten. Hinzu kommen noch entsprechende melodische Komponenten, die das Ganze vervollständigen. Eine exzellente Umsetzung.

Lyrisch betrachtet wird es ernster als auf “What Consumes Me” von 2022, auf dem häufig noch das Thema Liebe behandelt wurde. Jedoch wechselten die Inhalte auch, was hier nicht der Fall ist. „Morbid Orbit” wirkt erwachsener und erschöpfter. Es gibt einen Themenpunkt, der in jedem Song vorkommt – also haben wir es mit einer Konzept EP zu tun. Meiner Meinung nach ist es viel interessanter und signifikanter als „nur” eine Sammlung von 4 bis 6 Songs, die nicht unbedingt thematisch etwas miteinander zu tun haben.

Im großen Ganzen ist die Platte sehr einprägsam und langlebig. Das Musikalische ist aber etwas stärker und bleibt eher im Kopf, als das Lyrische. Da hat es leider ein wenig an bunteren Formulierungen gemangelt. Nichtsdestotrotz ist die neue EP „Morbid Orbit” von Hippie Trim eine starke 8,5/10! Und zum Nachdenken haben die Jungs uns ebenfalls angeregt. Der „9 to 5“ Rhythmus ist nicht für jede:n was. Vielleicht sollten wir alle mal hinterfragen, wie glücklich wir wirklich mit unserem Alltag sind?

Review von Jess.

Dieser Artikel wurde am: 30. Mai 2024 veröffentlicht.

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