„Unfreiwilliger Winterschlaf“: Götz Widmann im Interview

Götz Widmann gehört zu den Menschen, die von Musik leben. Und er gehört auch zu den Menschen, die unser Leben durch seine Musik bereichern. Wer schon mal auf einem seiner Konzerte war, weiß wovon ich gerade schreibe. Mitsingen. Anstoßen. Eine gute Zeit verbringen. Götz Widmann reist Jahr für Jahr von Stadt zu Stadt, um uns eine gute Zeit zu ermöglichen. Doch durch Corona hat sich vieles verändert. Wir haben bei Götz angeklopft und gefragt, ob er uns einige Fragen beantworten möchte. Sehr froh waren wir als er uns geöffnet hat, um die Fragen zu beantworten.

Hey Götz. Schön, dass du dir die Zeit nimmst. Wobei erwischen wir dich gerade?
Götz: Ich liege gerade im Bett. Unfreiwilliger Winterschlaf würde ich das nennen. Normalerweise hätte ich gerade eine fette Tour am Laufen, heute abend wäre ich in Freiburg und die Aerosole würden nur so durch die Gegend fliegen. Ich versuche möglichst wenig dran zu denken und das Beste draus zu machen. Ist doch toll mal so ein Januar ohne Schneeregen auf der deutschen Autobahn, hatte ich seit 20 Jahren nicht. Schön warm unter der Decke. Könnte deutlich schlimmer sein.

Schaut man gerade auf deine Homepage so sieht man, dass Corona deine Tour-Planung ganz schön durcheinandergebracht hat. Wie ist denn der derzeitige Stand der Dinge. Welches Konzert hoffst du, wird das erste für dich nach der Pause sein?
Götz: Der Stand der Dinge ist so dass jetzt erstmal wahrscheinlich alles ausfällt, ich hätte eigentlich noch Tour bis Ende Februar. Danach hatte ich eh mal ne längere Pause zum Schreiben geplant. Denke mein erstes richtiges Konzert ist im Juli, hoffe bis dahin darf man dann auch wirklich wieder.

„Pause“ scheint auch für dich ein gutes Wort. Du bist auf den Kanaren. Zum Rückflug bist du nicht angetreten. Wann wirst du diesen nachholen?
Götz: Nee, ganz so geil ist es dann doch wieder nicht, ich habe im Dezember einen Rückflug sausen lassen, das stimmt, aber zwei Wochen später bin ich dann doch heim. Jetzt hocke ich gerade wie die meisten anderen auch zuhause in meiner Bude. Und merke dass mir das langsam anfängt auf die Nerven zu gehen.

Die „kleine geile Bar“ kommt einem da wieder in den Sinn, wenn man den Text auf deiner HP liest. Wie würdest du die Bar nach den Erfahrungen der letzten Monate nennen wollen?
Götz: Die heisst einfach „kleine geile Bar“ und nach der hab ich verdammt viel Sehnsucht gerade…

Als Künstler, der von Livekonzerten lebt. Wie kommst du derzeit über die Runden? Hilft die Politik? Wie viele Anträge hast du schon raus?
Götz: Hör mir auf mit Anträgen. Es ist alles so planlos und realitätsfremd was da an Hilfen existiert bzw. nicht existiert. Erst wurde unsere Branche komplett im Stich gelassen, dann wurde mit der November- und Dezemberhilfe ganz schön viel Geld extrem willkürlich und vor allem mega unsozial verteilt. Verstanden hat das jedenfalls keiner. Seit dem 1. Januar werden wir wieder im Stich gelassen. Es ist wirklich nicht zu fassen wieviel Inkompetenz und Blindheit in diesen ganzen Entscheidungen liegt. Am Ende werde ich wie wahrscheinlich die meisten anderen Kollegen etwa ein Jahreseinkommen verlieren. Werd ich schon überleben, deutlich schlimmer sind die ganzen Veranstalter und Clubs dran. Ich könnte hier jetzt sehr viele traurige Geschichten erzählen, aber lassen wir das lieber. Am Ende muss man sich selber helfen, sonst hilft einem keiner. Das weiss man als frei schaffender Künstler aber eh schon länger.

Ein Wort, dass du sicher nicht gerne hörst ist „Entzug“. Gibt es für dich sowas wie „einen Entzug von Konzerten“? Das letzte ist ja schon Ewigkeiten her?
Götz: Ja, und das ist ein echter knallharter Entzug, denn die körpereigenen Drogen, die bei einem Auftritt ausgeschüttet werden, kann man durch nichts ersetzen und ich bin definitiv süchtig danach.

Welche Tanke auf den Autobahnen vermisst du am meisten?
Götz: Fleming auf der A9, das Marché-Restaurant. Ansonsten meide ich Autobahntanken eher, die Spritpreise sind eine Frechheit und der Frass ist durch die Bank grausam.

In der derzeitigen Situation überlegt man als Künstler sicher, wie man die Zeit sinnvoll nutzt. Es gibt immer wieder mal Live Streams. Wie waren deine Erfahrungen mit Online Konzerten?
Götz: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keine grosse Lust auf Livestreams ohne Publikum habe. Deswegen habe ich im ersten Lockdown sehr viel Zeit damit verbracht, eine Methode zu entwickeln, wie ich eben doch Publikum zu mir mit Bild und Ton ins Konzert holen kann. Obwohl wirklich jeder meinte das geht nicht. Ich hab mich dann viele lockgedownte Nächte lang reingehängt und mit Hilfe von ein paar anderen Idealisten und der Kombination von verschiedenen Konferenzsoftwares ein System entwickelt. Hat am Ende auch geklappt, kann man bei youtube kucken unter Götz Widmanns kleine geile Bar, es gibt es zwei Teile. Danach war ich dann aber auch irgendwie satt und habe es nicht weiterbetrieben. Das Problem bei Livestreams ist, dass man nach zwei oder drei Shows als normaler Musiker seine Songs durchgespielt hat und es dann spürbar an Reiz verliert. Vielleicht wäre so ne Art Zoom-Talkshow-Format etwas dankbarer aber dazu war ich dann zu faul.

Manch einer veröffentlicht auch Konzerte via YouTube. B-Seiten erscheinen usw. Hast du auch noch Demos, Konzerte in der Hinterhand, bei denen du überlegst, sie deinen Hörern vorzustellen?
Götz: Im Kopf hab ich immer viel, aber das Problem ist dass man das dann auch machen muss. Im Zweifel schreib ich dann doch lieber nen neuen Text als irgendwelche alten Sachen aufzuwärmen. Ich muss auch nicht auf permanenter Dauersendung sein. Wenn es was gutes Neues gibt bring ich es raus, wenn nicht halt nicht.

Könntest du dir auch vorstellen, alte (Joint Venture)-Songs in neuem Gewand zu präsentieren?
Götz: Das mache ich ja live normalerweise jeden Abend, spiele immer noch gerne und viele Joint-Venture-Songs. Wenn mir mal langweilig ist könnte ich mir auch vorstellen, ein Bandalbum mit den ganzen alten HIts zu machen. Aber mir ist fast nie langweilig, deswegen kann das noch ne Weile dauern.

Du schreibst auf deiner Seite auch von neuen Songs. Lustige Songs! Hast du schon was am Start?
Götz: Der gute alte William Shakespeare hat mal was sehr Schlaues gesagt: Man muss den Deckel auf dem Topf lassen, sonst entweicht der Dampf. Ich melde mich dann schon wenn ich soweit bin.

Falls ja, mach mal eine Andeutung und die Leute neugierig. Verrate uns doch mal eine Textzeile, die man vielleicht auf dem nächsten Album hören könnte.
Götz: Nee mach ich nicht. Siehe oben.

Neues Album ist ja leicht gesagt. Wie sind deine Pläne dahingehend?
Götz: Im Moment wäre ich erstmal froh überhaupt wieder auftreten zu können, dann denk ich auch irgendwann über ein neues Album nach.

Grundsätzlich ist es ja in der derzeitigen Situation auch naheliegend, nachdenkliche Songs zu schreiben. Wie würdest du einen Song benennen, der die jetzige Situation am besten beschreibt?
Götz: Weiss nicht. Asoziale Netzwerke? Anne Frank von der AFD? Meinungsfreiheit missbrauchen und dann Zensur schreien? Meiner Meinung nach ist unser allergrösstes Problem gerade jedenfalls die gezielte Verbreitung von Desinformation im Internet. Es gibt Leute, die davon profitieren, systematisch Misstrauen gegen unsere demokratischen Institutionen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu säen. Und das tun sie ohne Skrupel ungestraft permanent, nicht nur Donald Trump, das findet in Deutschland genau so statt. Wir brauchen dringend bessere Regeln und vor allem auch mehr „Herdenimmunität“ gegen Hass und Hetze im Internet. Was da gerade passiert zerstört jede Menge dringend nötige Solidarität bei der Bekämpfung aller dringenden Probleme unserer Zeit. Desinformation tötet Menschen, da gehts nicht nur um Corona, das wird beim Klima garantiert noch viel schlimmer. Wir brauchen klare internationale Spielregeln und ich habe kein gutes Gefühl dabei wenn die allein von amerikanischen Konzernen aufgestellt werden. Ich habe in den Neunzigern mal gedacht, das Internet wäre ein natürliches Instrument der Aufklärung und der Verbreitung von menschenfreundlichen Ideen. Das war ziemlich naiv.

Als das Jahr 2020 zu Ende war, haben viele auf das Jahr 2021 gehofft. Aber ganz so einfach ist das ja auch nicht. Was ist dein Jahresrückblick 2020?
Götz: Es war ein gutes Jahr. Ich habe viel geschlafen und Donald Trump wurde abgewählt.

Welche positiven Sachen nimmst du aus der Corona Krise mit?
Götz: Ich werde mir mein Bier in Zukunft immer nach Hause liefern lassen.

Welche drei Wünsche hast du für 2021?
Götz: Gesundheit, Liebe, Normalität.

Was bedeuten dir die folgenden Begriffe:
Kanaren
Götz: Da will ich alt werden. Feiern an der frischen Luft ist einfach viel gesünder.

Musikbusiness
Götz: Schau ich mir lieber von aussen an und bin doch ein Teil davon.

Gesundheitssystem
Götz: Es könnte deutlich weniger am Profit und mehr am Menschen orientiert sein.

Alle für einen
Götz: Kommt drauf an für wen, aber meistens nicht die beste Idee.

Wetterhahn
Götz: Den Job macht jetzt auch ein Algorithmus besser.

Idole
Götz: So langsam alle tot.

Greatest Hits 2020
Götz: Nix mitbekommen, war mit Leben beschäftigt.

Lieber Götz, wir bedanken uns für die Zeit und das Interview. Die letzten Worte gehören dir.
Götz: Danke. Ich schenk sie dir, mir fällt nix mehr ein…

Wir bedanken uns bei Götz für die Zeit. Wir hoffen, ihn bald wieder auf der Bühne zu sehen. Es wird wieder Zeit für ein Bier, Götz. Wer mehr über den Musiker wissen möchte schaut nach unter: www.goetzwidmann.de.

Geplante Tourdaten:
15.7.21 Erfurt, Museumskeller (evtl. Open Air)
16.7.21 Halle, Volksbühne am kaulenberg
17.7.21 Dresden, Parktheater
23.7.21 Berlin UFA-Fabrik
29.7.21 Dortmund, Junkyard Open Air
30.7.21 Windeck, Elmores
18.-22.8.21 Deutzen, Adriakustik-Festival
1.9.21 Düsseldorf, ZAKK
2.9.21 Koblenz, Cafe Hahn
3.9.21 Odernheim, KINO
4.9.21, Darmstadt, Hoffart-Theater
23.9.21 Ulm, Hemperium
24.9.21 Lindau, Club Vaudeville
25.9.21 Kempten, Künstlerhaus
30.9.21 Oldenburg, Flänzburch
2.10.21 Husum, Speicher
23.10.21 Wien, Arena
29.10.21 Mönchengladbach, Projekt 42
30.10.21 Brühl, Kornkammer
6.11.21 Wuppertal, LCB
11.11.21 Braunschweig, Brunsviga
12.11.21 Bielefeld, Bunker Ulmenwall
13.11.21 Bochum, Bahnhof Langendreer
19.11.21 Torgau, Kulturhaus
20.11.21 Cottbus, Gladhouse
25.11.21 Lübeck, Riders Cafe
26.11.21 Paderborn, Wohlsein
27.11.21 Osnabrück, Bastard Club
10.12.21 Luxemburg, Flying Dutchman
15.12.21 Trier, TUFA
16.12.21 Bonn, Harmonie
17.12.21 Mainz, Schon Schön
18.12.21 Giessen, Jokus
26.12.21 Frankfurt, Das bett
27.12.21 Weinheim, Cafe Central
28.12.21 Wermelskirchen, AJZ Bahndamm

7.1.22 Köln, Gloria
8.1.22 Münster, Sputnikhalle
13.1.22 Rostock, Mau
14.1.22 Bremen, Schlachthof
15.1.22 Hannover, Faust
19.1.22 Leipzig, Moritzbastei
20.1.22 Leipzig, Moritzbastei
21.1.22 Berlin, SO36
22.1.22 Berlin, SO36
26.1.22 Jena, Rosenkeller
27.1.22 Nürnberg, Hirsch
28.1.22 München, Backstage
4.2.22 Kiel, Pumpe
5.2.22 Hamburg, Markthalle
11.2.22 Stuttgart, Wagenhallen
12.2.22 Karlsruhe Jubez

Dieser Artikel wurde am: 2. Februar 2021 veröffentlicht.

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