Ein Mann, der eigentlich Legenden-Status innehat. Schon unzählige Jahre auf Tour und sowohl mit den Adverts als auch mit seinen Soloalben Stücke veröffentlicht, die in jede gute (Punk-)Rocksammlung gehören. TV Smith kommt aus England und tourt mit seinen Songs um die Welt. Clubs, die solche Künstler offenherzig aufnehmen sind aber derzeit geschlossen.
Lockdown. Was tun? TV ist derzeit mal gerade NICHT auf Tour, aber Ferien macht er keine. Ganz im Gegenteil. Mit „Lockdown Holiday“ hat dieser ein starkes Gitarrenalbum am Start, das seit dem 27.11.2020 bei vielen Menschen laufen sollte. Zu diesem Album aber auch vielen anderen spannenden Themen durften wir TV einige Fragen stellen.
Hey Tim. Erst einmal vielen lieben Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für dieses Interview. Wobei erwischen wir dich gerade?
Tim: Ich bin zuhause in Südwesten England – wie schon seit sieben Monaten, dank Covid.
TV Smith konnte man die letzten Jahre sehr oft live sehen. Du bist viel auf Tour. Aber seit März ruht das System. Wie empfindest du die Situation persönlich?
Tim: Erstmal war es für mich eine Katastrophe. Nicht nur weil alle 56 geplanten Konzerte für den Rest des Jahres abgesagt wurden, sondern auch die grösstes Konzert, welche ich gespielt hätte, die Unplugged-Tour mit Die Toten Hosen.
Und welche Anekdoten aus der Corona-Zeit schmerzen dich am meisten? Gibt es auch etwas, das dich froh stimmt?
Tim: Ich leide schon unter die verlorenen Konzerten und Touren, aber als ich dann festgestellt habe, dass ich selber das Virus bekommen habe, war es natürlich noch schlimmer. Aber irgendwann fühlte ich mich beruhigt. Ich konnte nichts tun, um die Situation zu ändern. Manchmal muss man einfach das Schicksal akzeptieren. Für das erstes mal seit vielen Jahren konnte ich Zuhause für mehr als ein paar Tage bleiben, ohne den Koffer wieder packen zu müssen.
Du bist oft hier in Deutschland unterwegs. Was imponiert dir an Deutschland?
Tim: Die Leute überhaupt. Es herrscht eine grosse Freundschaft unter den Leuten bei meinen Konzerten, was sehr schön ist und sie sind auch für die Musik sehr engagiert und interessiert. Für mich als Kunstler ist das sehr wichtig.
Durch Corona haben sich Pläne geändert. Hattest du vor, nach „Land of the Overdose“, schon, in dem eher kurzen Zeitraum, ein weiteres Album aufzunehmen? Waren die Songs bereits geschrieben oder ist diese Idee erst mit dem Lockdown entstanden?
Tim: Es waren keine zwei Jahre seit “Land Of The Overdose” als der Lockdown angefangen hat und mein normaler Abstand zwischen zwei Alben sind vier Jahre – also, nein, eine neue Platte war gar nicht geplant. Aber als ich mich ein bisschen von dem Virus erholt hatte, wollte ich ein Lied über mein Erlebnis schreiben. Das war “The Lucky One”, das erstes Lied auf der Platte. Dann ist es mir sofort aufgefallen, das ein einziges Lied nicht reicht und ich habe weitergeschrieben. Das nächste Lied war “Bounce Back”, das zweite Lied auf der Platte. Und so ist es weiter gelaufen, bis ich elf Lieder geschrieben habe und wirklich ohne Absicht, eine ganz neue Platte zu produzieren.
Erzähl etwas zum Aufnahmeprozess. Was war diesmal anders als sonst?
Tim: Es war schon klar, das keine anderen Musiker auf der Platte mitspielen könnten, wegen dem Lockdown. Ich durfte andere Leute einfach nicht treffen und überhaupt nicht in ein Profistudio gehen. Aber die neuen Lieder waren alle als reine Singer/Songwriter-Stücke geschrieben – ich wollte sowieso kein grosses Bandarrangement. Hauptsache waren die Texte und Message, ohne Rock-Klischee. Glücklicherweise habe ich ein kleines Studio zuhause und konnte, sobald die Liedee fertig geschrieben waren, sofort anfangen, sie aufzunehmen. Das war eigentlich kein grosser Unterschied zu sonst, weil ich habe auch komplett das “Land Of The Overdose”-Album und den grössten Teil von “I Delete” zuhause aufgenommen. Danach habe ich die fertigen Aufnahme zu Jon Caffery geschickt und er hat den Mix in seinem Studio gemacht.
Das Album wird bei JKP veröffentlicht. Was bedeutet es dir, auf dem Toten Hosen – Label zu veröffentlichen?
Tim: Wir haben seit Jahren eine Freundschaft und Verbindung. Für mich ist es mittlerweile fast eine Familie-Sache, dass die Platte auf JKP erscheint.
Kommen wir zu den Songs. „To believing is hard“, singst du im Opener “The Lucky Ones”. Beschreib was dir schwerfällt zu glauben?
Tim: Da hast du ein kleines bisschen falsch gehört. Ich singe eigentlich “It’s hard to believe it.” Das heisst, es ist schwer zu glauben, das wir die Glücklichen sind. Meine Gefühle, nachdem mich das Coronavirus erwischt hatte und alle mein Konzerten abgesagt wurden, waren erstmal so, dass ich sehr unglücklich war.
Wo siehst du die Menschheit denn als „Lucky Ones“ und wo eher als „Unlucky People“?
Tim: Genau diese Frage liegt mir auf dem Herzen in dem Lied. Nach etwas Nachdenken war mir klar, dass im Vergleich zu vielen Menschen – die in der dritten Welt leben, die Flüchtlinge und die Armen zum Beispiel – bin ich eigentlich glücklich.
Auch „Artificial Flowers“ scheint dir aus der Seele zu sprechen. Erklär etwas den Hintergrund dieses Stückes. Gibt es Hoffnung im Plastikland?
Tim: Es gibt immer Hoffnung. Aber man muss aufmerksam bleiben. In einer Krise, die wir jetzt erleben, ist es ein optimales Zeit für manche grossen Geschäfte und böse Politkern, uns mit künstlichen Ideen und Werten zu überzeugen. Die Gefahr ist, dass wir alle so abgelenkt und besorgt sind, dass wir das akzeptieren werden.
Ein Begriff, der in den letzten Jahren fast schon zum Unwort geworden ist, heißt „Fake News“. Was hat dich dazu angetrieben, über „Fake News“ einen Song zu schreiben?
Tim: Das habe ich direkt nach “Artificial Flowers” geschrieben und ist eine Entwicklung von dem selben Thema. Es heisst, ich könnte selber auch falsch sein und falsche Infos verbreiten, aber ich will es nicht. Heutzutage ist es wichtiger als je zuvor, echt zu sein.
Das Titelstück „Lockdown Holiday“ ist sicher für dich ein ganz Besonderes. Ist für dich der Lockdown sowas wie Holiday?
Tim: Wie ich schon gesagt habe, es war das erstes mal seit Jahren, dass ich Zuhause bleiben könnte. Urlaub war es nicht, weil ich wollte meinen “Job” weiter machen, Lieder schrieben, Videos machen usw. Andererseits, es war auch das erstes Mal seit Jahren, dass ich keinen Verkehr mehr hören könnte. Plötzlich gab es viel Vogelsang. Das Wetter war sogar für den Frühling unheimlich sonnig und warm. Jetzt, wenn ich darüber nachdenke, war es tatsächlich eine Art Urlaub.
Wo liegt die Chance für Menschen im Lockdown?
Tim: Lockdown war – und für manche ist er es immer noch – eine starke Erinnerung, das die Chance immer darin liegt, das Beste aus dem zu machen, was man kann und wo man gerade ist.
Wovon würdest du denn gerne mal Holiday machen und wen in den Lockdown schicken?
Tim: Mein Urlaub wird kommen wenn ich wieder auf Tour gehen kann und wieder für mein Publikum spielen kann. Lockdown würde ich empfehlen, für alle, für die das Leben zu stressig ist. Es muss nicht sein. Mach mal Pause.
„Send in The Clown“ gehört zu den großen TV-Nummern, die von deiner Stimme und der Geschichte leben, die du im Stück erzählst. Beschreib etwas die Entstehungsgeschichte des Songs und die Geschichte, die du hier erzählst.
Tim: Ich fand, genau in dieser Krise, wann wir starke Politiker brauchen, wurden wir in England und auch in den USA von zwei Leuten angeführt – Boris Johnson und Donald Trump – die völlig ungeeignet für den Job waren und die das Virus nicht ernstgenommen haben. Ich habe die zwei Personen irgendwie kombiniert für den Song “Send In The Clown“.
„Join The Mainstream“. Jeder der TV Songs kennt, weiß was hier im Text passiert. Wann wäre denn Mainstream für dich OK?
Tim: Nie. Man müsste seinen eigenen Strom erfinden und nicht den nutzen, der von anderen angeboten wird.
Mit „Going Nowhere fast“ beendest du das Album mit einem Ohrwurm. Auch hier interessiert mich die Geschichte hinter dem Stück. Je nachdem wie man die Betonung in dem Satz setzte, kann man ja an der Bedeutung des Satzes zweifeln. Welche Intention hattest du bei diesem Song?
Tim: Eigentlich wollte ich nur zehn Lieder auf der Platte haben und sie mit “I Surf The Second Wave” abschliessen. Aber langsam habe ich gemerkt, dass ich immer noch unter Symptome von Covid leide – was wir jetzt alle als Long-Covid erkennen sollten. Damals wusste niemand, dass es so lang dauern könnte, aber es war mir von meinen Erlebnissen schon klar und ich wollte was schreiben. Über diese Gefühle, das man sich trotz allem nicht wirklich erholen und vorwärts kommen kann. Ich wollte eigentlich ein bisschen Unterstützung für andere Leidende geben – aber es hat sich letztendlich zu einem eher lustigen Lied entwickelt.
Wir haben viele Stücke angesprochen. Welche Songs liegen dir persönlich am Herzen?
Tim: “I Surf The Second Wave” haben wir nur kurz erwähnt, aber das Lied ist mir sehr wichtig.
Wenn du nun auf die Bühne gehen dürftest. Welche Stücke würdest du in die Setlist integrieren?
Tim: Ich würde gern alle neuen Stücke live spielen und genau in der Rheinfolge wie sie auf die Platte sind. Aber wir werden sehen – es könnte lange dauern bevor Konzerte wieder erlaubt sind.
Lieber TV, was bedeuten dir die folgenden Begriffe?
Corona
Tim: Mexikaner Bier
Corina
Tim: Keine Ahnung
Club Shows
Tim: The Good Old Days
Useless
Tim: Niemand ist nutzlos. „The Day we caught the big fish“. Immer noch ein Lieblingslied.
Underground
Tim: Besser als Mainstream.
Punkrock
Tim: Weiss nicht mehr.
Tough Magazine
Tim: Danke für die Unterstützung.
Danke für dieses Interview. Die letzten Worte gehören dir!
Tim: Geduld haben. Auch das geht vorbei.
Wir bedanken uns bei TV für ein Interview, das uns besonders am Herzen lag. Mir als Schreiber der Fragen sind die Alben von TV ein langer Begleiter und ein Grund, immer mal wieder bei einem Bierchen gute Gitarrenmusik möglichst laut zu hören. TV Smith – Nicht nur ein Künstler – auch ein Typ. Und das sogar im Lockdown. Starkes Album. Ich freu mich auf die Konzerte, wenn denn Corona endlich mal über die Klippe gesprungen ist. Bis dahin halt der Zeitvertreib mit „Lockdown Holiday“.
Interview von Thorsten im November 2020
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