Mit „Frei.Tal“ ist das aktuelle Album von Arrested Denial auf dem Markt – wir haben uns mit Valentin über die Songs, die Entstehung und weitere Themen unterhalten.
Hey, wo erwischen wir euch gerade?
Valentin: In Hamburg, zu Hause, es ist Februar, draußen ist Scheißwetter und es ist Sonntag. Das bedeutet, morgen ist Montag. Verdammt..!
Im letzten Juli ist mit „Frei.Tal“ euer zweites Album erschienen. Wie setzt sich der Albumtitel zusammen?
Valentin: Naja, wie man das nun zusammensetzen möchte, das ist dann wohl persönliches Ermessen. Ich denke, der Titel ist einigermaßen eindeutig, aber du bist jetzt auch nicht der erste, der das fragt. Letztlich geht es bei dem Albumtitel darum, dass sowas von sowas kommt, um es mal sonnenklar auszudrücken. Es gibt ja einige Bands oder auch Genres, die so eine Art massenkompatiblen Wohlfühl-Nationalismus befeuern. Und dieser scheint in einer Dunkelziffer von Köpfen solche Vorgänge zu legitimieren, wie es sie z.B. in Freital gegeben hat. Und selbst wenn die den ganzen Tag gebetsmühlenartig wiederholen, dass sie keine Nazis sind, was ja vielleicht auch sein mag, servieren sie doch genau diesen mit ihren Scheiß-Texten und ihrer Attitüde einen äußerst fruchtbaren Nährboden.
Wie liefen die Arbeiten zu den Songs im Studio? Eher typisch oder ist dieses Mal was außergewöhnliches geschehen?
Valentin: Wir haben alle bisherigen Platten in Eigenregie in unserem Proberaum aufgenommen, somit ist das eigentlich unser Studio. Neu war diesmal aber tatsächlich, dass wir Mix und Mastering extern haben machen lassen. Das war also eine Neuerung, mit der ich – als jemand mit, um es mal positiv zu belegen, „äußerst klaren Vorstellungen von den finalen Songs“ – erst einmal klar kommen musste. Aber das hat sich am Ende durchaus gelohnt, wir sind mit dem Resultat zufrieden. Das hätten wir mit unserem DIY Know How jedenfalls nicht rausholen können.
Arrested Denial – Heimathafen
Eure Texte handeln oftmals vom Zweifeln an sich selbst und allgemein von eher ernsten Dingen. Sind euch diese Kernthemen besonders wichtig? Was wolltet ihr unbedingt auf dem Album verarbeiten und warum?
Valentin: Das stimmt, es wird von uns wohl nie irgendwelche Funpunk-Texte geben. Das würde uns niemand abnehmen und ich hätte auch gar keinen Bock drauf. Ich bin selber eher ein Anhänger von tendenziell atmosphärischer oder auch im weitesten Sinne melancholischer Mucke. Und unsere Texte behandeln schon alle Themen, die mich in den 3-4 Jahren seit der letzten Platte eben beschäftigt haben. Abgesehen davon ist es natürlich spannend, über das Zusammenspiel von Musik und Text eine gewisse Stimmung zu vermitteln.
Einen roten Faden gab es da aber nicht, das ist einfach so gewachsen. Wir haben allerdings irgendwann festgestellt, dass sich ein guter Teil der Texte diesmal eher mit der derzeitigen politischen Stimmung in unseren Breitengraden beschäftigt. Somit haben wir uns dann letztlich auch entschieden, das auch im Albumtitel aufzugreifen. Geplant war das aber nicht.
Gerade ganz aktuell habt ihr ein Video zu „Nationalisten aller Länder“ veröffentlicht. Wie fiel die Wahl auf den Song? Und was würdet ihr sagen, kann man machen, um den Menschen klar zu machen, dass wir alle auf diesem Planeten leben – egal wie man aussieht, oder woher man kommt?!
Valentin: Also dass wir alle auf diesem Planeten leben, dürfte wohl den meisten Leuten klar sein. Es ist ja eher die Frage, wie sie damit umgehen. Ich sehe selbst eigentlich keine Möglichkeit, irgendwelchen Hinterwäldlern groß klar zu machen, dass das, was sie da so verzapfen, ziemlich realitätsfern ist. Das ist ja auch alles ein sehr in sich abgeschotteter Mikrokosmos, in dem man sich nach und nach und im Kollektiv dieses ziemlich obskure Weltbild zusammenschraubt, in dem sich die ganze Milchstraße um Deutschland dreht. Wenn die nicht von selber irgendwann auf den Trichter kommen, halte ich es für extrem schwer, dort überhaupt jemanden mit Inhalten zu erreichen. Ein „Nazis Raus“ Aufkleber an einer Hamburger Straßenlaterne ist da jedenfalls vermutlich nicht so effektiv. Wichtig ist er trotzdem.
Ich denke, dass wir hier in vielen Fällen auch nicht von völlig überzeugten Faschos reden, sondern dass solche Pegida und Co.-Geschichten sehr viele Leute ziehen, die einfach nur etwas Selbstbestätigung und so eine Art „Wir“-Gefühl suchen. Und so eine erlebnisorientierte Nörgel-Truppe ist dann bei einem hohen Grad an Orientierungslosigkeit eben der einfachste Weg. Letztlich ist das ein ziemlich großer Stammtisch, an dem jeder mal 2 Minuten pöbeln darf und sich relativ sicher sein kann, dass er dafür umso mehr abgefeiert wird, je weiter er sich aus dem Fenster lehnt. Das ist ja auch viel einfacher, als sich konstruktiv für irgendwas zu engagieren.
Aber es würde glaube ich viel helfen, wenn diese Leute ihr offensichtlich größtes Problem, nämlich die vermeintlich so furchtbar offenen Grenzen nutzen würden, um sie einmal im Leben selber zu übertreten und aus erster Hand einen Blick in andere Länder und Kulturkreise zu werfen. Das dürfte eine sehr heilende Wirkung haben. Letztlich machen die sich hier ja die ganze Zeit nur ins Hemd, weil sie panische Angst vor allem haben, was sie nicht kennen.
Arrested Denial – Nationalisten aller Länder
Mitgearbeitet haben Hajo (Oi-Melz) und Ulf (Rantanplan) – wie kam es zu den Verbündnissen?
Valentin: Mit Ulf haben wir ja schon eine etwas längere Historie, er hat bereits 2013 bei dem Song „Fluchtweg“ die Trompetenparts eingespielt und, wenn es sich angeboten hat, auch hier und da mal Gastauftritte bei Konzerten hingelegt. Man kennt sich, mag sich, wohnt auf der gleichen Ecke, und somit hat sich das natürlich auch hier wieder angeboten. Ulf hat einfach einen Draht zu der Mucke und versteht sofort, was da geplant ist und wie sich das am Ende anhören soll.
Und den Hajo von den Oi-melz hatten wir – neben Micha von Smegma – eigentlich auch schon für unsere „Our Best Record So Far“-Scheibe auf der Wunschliste. Wir haben ihn damals aber nicht zu fassen gekriegt. Diesmal hat es dann nach langer Suche geklappt. Hajo hat sich die Sachen angehört und dann eigentlich postwendend zugesagt. Für mich sind insbesondere die ersten 2 Oi-melz Platten mit die besten Scheiben, die hierzulande jemals fabriziert wurden, und das durchaus auch Genre-übergreifend. Ich bin für meinen Teil eigentlich nicht wirklich von deutschen Punk- oder Oi!-Bands beeinflusst, aber die Oi-Melz sind da, neben vielleicht noch den Bates, eine der wenigen Ausnahmen.
Letztes Jahr ging es für 11 Shows nach China – wie war es und vor allem, wie kamen die Songs dort an?
Valentin: Das war schon eine ziemlich coole Nummer. Die Leute konnte eigentlich alle Texte mitsingen… Nein, also natürlich liegt es jetzt nicht unbedingt direkt auf der Hand, mit dem ersten komplett deutschsprachigen Album erstmal quer durch China zu touren. Aber als sich die Option über unseren Freund Zhong angeboten hat, der früher bei den 2nd Class Substitutes in Wien gespielt hat, war doch schnell klar, dass wir die Nummer durchziehen.
In China gibt es nun keine Punkszene, so wie wir das hier kennen. Somit waren das teilweise schon etwas bizarre Locations, in denen wir gespielt haben. Aber die Leute hatten ihren Spaß und haben da teilweise eine ziemliche Abrissparty veranstaltet. Und natürlich war das auch für uns eine großartige Erfahrung, das macht man ja nun nicht gerade alle Tage. Am Schluss waren es übrigens nur 9 Shows, weil die Provinzregierung von Sichuan zwei Konzerte in letzter Sekunde abgesagt hat. Der Veranstalter hatte wohl etwas zu offensiv plakatiert, und ganz abgesehen davon waren wir die ganze Zeit ohne Auftrittsgenehmigung unterwegs…
Arrested Denial – Video-Gruß 2018 (Vorsicht: Humor)
Welche Scheiben laufen zur Zeit bei euch privat?
Valentin: Also ich glaube, das ist jetzt nicht gerade repräsentativ für die Band, wir hören alle sehr unterschiedliches Zeugs. Aber was mich betrifft: Die aktuelle Cannibal Corpse ist grandios und läuft bei mir gerade rauf und runter. Ansonsten so Sachen wie Russian Circles, Primitive Man, Massive Attack, Incendiary und diverser Indie und 90er Emo-Kram. Ach ja, die neue Per Gessle Soloplatte ist auch ziemlich cool und ich bin vor kurzem über eine australische Indie-Folk Truppe namens Sons of the east gestolpert. Hammer! Aber ich denke mal, damit kann ich nur sehr bedingt punkten, haha. Nach Roxette, Reinhard Mey und Truck Stop haben wir übrigens gerade die „Life for rent“ Scheibe von Dido als neuen Band-Konsens entdeckt.
Wie sieht ein perfekter Tag für dich aus?
Valentin: Um Ian MacKaye zu zitieren: „Keine Termine und leicht einen sitzen“. Jedenfalls nicht so, wie 90% meiner Tage in der Praxis aussehen. Was dann vielleicht wiederum ein Stück weit die zuvor angesprochenen, eher latent düsteren Texte erklärt.
Wenn es Superkräfte geben würde, welche hättest du gerne und warum?
Valentin: Ich bin mit solchem Comic-Kram nicht wirklich up to date, von daher müsste mir erst einmal jemand sagen, was für Superkräfte überhaupt zur Wahl stehen. Schneller Gitarre spielen als mein Schatten. Oder Hinkelsteine apportieren können! Und bei manchen Leuten wäre ich als Kind gerne in den Zaubertrank gefallen. Aber mal ganz eigennützig betrachtet wäre es großartig, wenn wir uns an die Auftrittsorte beamen könnten. Ich will nicht wissen, wie viele Bands sich letztlich auflösen, weil sie keinen Bock mehr auf das ewige Rumgefahre und die stundenlangen Staus haben. Das wird immer schlimmer, und die Regierung unternimmt einfach nichts! So etwas wie eine Bus-Spur für Bands wäre cool.
Was bedeuten dir folgende Wörter…
-…Zeit: … zu gehen? Einer meiner Lieblingssongs auf der Platte! Ansonsten leide ich unter chronischem Zeitmangel. Von daher ist mit Zeit deutlich wichtiger als vieles andere. Vielleicht sollten wir die Band auflösen, dann wäre das Problem erledigt. Zumindest bis zur nächsten Schnapsidee…
-…Freiheit: Westernhagen, das war leicht… „Freiheit“ steht auf der Rückseite unseres Covers. Was jetzt nicht heißen soll, dass wir Westernhagen gecovert hätten. Ansonsten definiert das wohl jeder Mensch sehr individuell. Uns geht es hier in Summe ziemlich gut, von daher sollte man den Ball wohl doch etwas flach halten. Aber ich bin da immer recht nahe dran, wenn ich irgendwo völlig ab vom Schuss bin, die Sprache nicht verstehe und vielleicht noch ein paar Berge in Sichtweite sind.
-…Tod: Den habe ich mir irgendwann fest vorgenommen, ja.
-…Respekt: Das ist sehr wahrscheinlich ein Song von Madball.
-…Freundschaft: Ah, wir bleiben beim Thema. Friendship, Loyalty, Commitment ist eine der besten Hardcore-Platten aller Zeiten. Ein Jammer, dass Rick Ta Life vor ein paar Jahren komplett durchgedreht ist.
-…Familie: Sag mal, was hast du eigentlich gerade gehört, als du diese Interviewfragen zusammengeschrieben hast, haha? Den großen 90er New York Hardcore-Mix? Ich habe mein Bandana nicht zur Hand, aber ich meine mich zu erinnern, dass man alle Fragen rund um das Thema Familie anhand der letzten 12 Agnostic Front Scheiben klären kann. Und jetzt wird mir auch langsam klar, woher der Name eures Zines kommt! Aber du merkst schon, ich weiß nicht so genau, was ich dazu groß sagen soll. Wenn Bands irgendwas von Familie erzählen, wird es meistens ziemlich albern, daher bin ich lieber still, Bruder.
Vielen Dank für die Zeit und die letzte Worte gehören natürlich dir!
Valentin: Danke, aber ich muss nicht immer das letzte Wort haben…
Interview von Florian im Februar 2018
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