Eigentlich müsste die Kolumne diesen Monat ausfallen, denn ich sitze gar nicht auf der Couch, sondern bin mit meiner Band auf Tour. Momentan sitze ich in einem Hotel in einer Großstadt auf dem Bett, die Kirchenglocken läuten seit einer dreiviertel Stunde die Information, dass es zehn Uhr ist und Gott gibt, im TV habe ich die Wahl zwischen einer japanischen Gameshow und Frühschoppen mit Stephan Mross, und ich muss schon sagen, da sind ganz schön viele Parallelen zu finden.
In regelmäßigen Abständen klopfen seit acht Uhr heute früh zwei Damen vom Reinigungspersonal und wollen wissen, ob ich „Service brauche“, doch der einzige Service, den ich brauche, ist mein „Late Check out“, um mal richtig ausschlafen zu können. Ich bin sehr müde, denn viel Schlaf hatte ich nicht, weil in der Nacht ständig ein Kind mit einem roten Kettcar durch die dunklen Flure kurvte, und ein Zwillingspaar gegen Mitternacht vor meinem Bett seilhüpfte. Ein sehr kinderfreundliches Hotel, scheint mir, nur dass es mitten im August überraschend einschneien konnte, wundert mich ein wenig. All work and no play makes Totte a dull boy. All work and no play makes Totte a dull boy. All work and no play makes Totte a dull boy.
Hoppla, wo war ich? Ach ja, Tour und Musik und das ganze Drumherum. Jedenfalls passt das alles nicht zum Schreiben meiner liebevollen Glosse, denn die tippe ich ja prinzipell in meiner Funktion als Couchkartoffel, nicht als Rockreisender. Als letzterer schreibe ich schon die Konzertberichte meiner schmucken Kapelle, da könnt hr ja gerne mal nachlesen, was derzeit so abgeht. Die Homepage verrate ich Euch demnächst mal, spätestens, wenn sie mir wieder einfällt. Monstersofliedermaching.de. Huch, das ging ja schneller, als gedacht.
Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass ich die Kolumne ja nicht immer erst am Veröffentlichungstag schreiben muss, sondern auch mal vorarbeiten könnte. Das stimmt, aber erstens bin ich stinkefaul und zweitens habe ich folgendes Problem: Ich wohne in Hörweite zum Deich, und dort ist traditionell jeden Sommer ständig Party junger Leute. Ich habe natürlich überhaupt nichts gegen Party, und junge Leute machen mir höchstens Angst, aber dieses Jahr hat sich leider ein Congaspieler zu ihnen verirrt, und der hämmert da jetzt nächtelang an jeder rhythmischen Moralvorstellung vorbei, dass mir die Tränen in die Augn schießen. Und ohne Scheiß, sogar meine Ohren weinen, zum ersten Mal in meinem Leben.
Dabei bin ich als Wandergitarrentyp durchaus Kummer gewöhnt, schließlich habe ich schon viele Lagerfeuermomente erleben müssen. Gehasst habe ich es eigentlich immer. Der Rauch zieht vollkommen resistent gegen jedes Prinzip von Windrichtung direktemang in Fresse, Unterhalten ist verboten, weil immer irgendwer irgendwelche, möglicherweise sogar einst leuchtenden Songs, in Schutt und Asche covert, und selbst wenn man sich doch mal unterhalten dürfte, geht’s nicht, weil alle so hirnlos selig diese Dylandeppenversion anschmachten, anstatt ihm die Gitarre auf dem Schädel zu zertrümmern, so wie es sich eigentlich gehört. Andererseits ist das auch noch alles okay. Doch wenn sich dann Congaklopfer dazugesellen, dann steigen unselige Geister aus den Höllentiefen des Lagerfeuers empor, und zwar, um sich über den Lärm zu beschweren. Das kann aber niemand hören, denn je schlechter Congatrommler trommeln, umso lauter trommln sie. Sie sind anscheinend davon überzeugt, dass genügend Lautstärke schon den Takt in die richtige Form kneten kann. Vielleicht sind sie auch nur von sich insgesamt so überzeugt, dann würde mich nicht wundern, wenn alle Congaspieler riesige Karrieren in der Politik oder an der Börse machen. Charakterlich würde das passen.
Andererseits: Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich ja auch nur neidisch, weil ich nie zum Spielen aufgefordert wurde. Zurückhaltung wird in der Lagerfeuerklampferszene nicht belohnt. Wahrscheinlich liege ich aber auch falsch, und Lagerfeuermusik ist das beste Ding seit der Erfindung von Rammstein. Bestimmt ist das so. Ich bitte um Verzeihung für meine harschen Worte. Vielleicht bin ich ja auch nur ganz kirre wegen dieses wochenlangen Congagetrommels vor meinen heimischen Fenstern, denn das war wirklich derart taktlos und penetrant, dass mindestens ein Mensch von charakterlichen Ausmaßen Donald Trumps da die Felle bearbeitet haben muss. Vielleicht sogar gar er selbst? Womöglich sollte ich mir ein Luftgewehr zulegen.
Aber das ist ja erstmal alles noch Zukunftsmusik, denn gerade bin ich – wie gesagt – im Hotel eingeschneit, was vermutlich auch ein bisschen für meine polemischen Äußerungen verantwortlich zeichnet. Obwohl hier alle sehr nett und zuvorkommend sind, zum Beispiel durfte ich mir nach meiner Ankunft frei meine Lieblingszeit zum Frühstücken aussuchen, jedenfalls, sofern sie 7:15 Uhr lautet. Beinahe hätte ich das aber trotzdem verpasst, da ich im 12ten Stock wohne und auf die Treppe ausweichen musste, weil der Fahrstuhl wegen einer gestrigen Blutfontäne außer Betrieb ist. Aber das macht ja alles nichts, denn jetzt spricht im TV Stefan Mross mit Andy Borg über die Schönheit von Alpenhörnern, und gleich soll noch Anita ihren Part aus ihrem mit Roy Black gemeinsam gesungenen Hit „Schön ist es in der Welt zu sein“ intonieren. Leider zu Congabegleitung, und jetzt zuckt mein rechtes Auge unkontrolliert und mein Blick fällt immer wieder zu der Notfallaxt neben dem Feuerlöscher. Aber alles wird gut. Ich werde mal ins Bad gehen, um mich abzukühlen. Nun beginnt Anita zu singen. Das Trommeln wird lauter. Ich muss den Bericht schließen. Auf bald. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.
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