Mit „Babylon“ erscheint das neue Album der Band Herzlos. Wir haben uns mit dem Frontmann Marvin über die Songs, die Entstehung weitere Themen unterhalten.
Moin, wo erwischen wir euch gerade?
Marvin: Du erwischst mich gerade in meiner ziemlich miesen Terminplanung, weil ich sämtliche Interviews wieder vor mir hergeschoben hab und sie nun alle auf einmal beantworte… Ich glaub, ich lern das in diesem Leben nicht mehr! :-D
„Babylon“ heißt euer neues Album – wie schnell stand der Titel der Platte fest? Und was war zuerst da? Song oder Albumtitel?
Marvin: Wir warten eigentlich immer erst, bis sich aus den einzelnen Songs irgendwie bei 5-6 Stück ein gemeinsames Raster ergibt und überlegen, welcher Titel als Standalone das Album am Besten beschreiben könnte. Dieses mal allerdings war „Babylon“ selbst einer der letzten Titel, der quasi alles nochmal zusammenfassend zu einem wirklichen Konzept abgerundet. Das hatten wir eigentlich nicht so geplant.
Bleiben wir direkt beim Opener/Titeltrack – wie sehr kotzt euch die aktuelle Welt an, abgesehen von Corona? Und was am meisten?
Marvin: Es ist irgendwie zum Davonlaufen.. Unserer Meinung nach hat gerade Social Media soviel negativen Einfluss auf sämtliche Dimensionen: Jeder hat auf einmal was zu sagen, kann seinen geistigen Dünpfiff im Netz abladen und bekommt auch noch Zustimmung, Gerade auch im Hinblick auf Corona sind wir alle irgendwie an der Bealstungsgrenze, aber da wo man früher das ganze zwischenmenschlich geregelt hat, gibt´s heutzutage nur noch Schwarz und Weiß – Das kotzt uns an!
Ebenfalls regt ihr euch über die sogenannten Influencer auf – was läuft denn hier, eurer Meinung nach, verkehrt?
Marvin: Schaut man sich die meisten Kanäle an, wissen wir ja , das der ganze Sog um diese „Influencer“ einfach nur darauf abzielt, möglichst viel und mit wenig Aufwand zu verkaufen. Da wo man auch wiederum früher zu seinem Fachhändler in der Nähe ist, persönliche Kontakte und Beziehungen gepflegt hat, spielt sich das aktuell nur noch in einer virtuellen Blase ab. Und die Gesichter dazu sind irgendwelche gecasteten Schönheitsideale, die in ihrem Leben anscheinend noch nie wirklcih Spaß an ihrem eigentlichen Beruf hatten. Arbeitsplätze werden wegrationalisiert, weil Firma XY lieber der freizügigen Lady auf Instagram mit 2K Followern die Produkte sponsort. Verkehrte Welt, oder?
Mit einem leichten Augenzwinkern und sehr melodisch geht es im Song „Radiotauglich“ darum, dass man ja eigentlich mehr verdient hat. Warum ist es dennoch viel geiler, die Musik zu machen, die man will, liebt und für die man lebt anstatt sich eben ganz easy anzupassen?
Marvin: Stimmt, der Song ist denke ich der “lockerste” auf dem Album. Aber mal ehrlich: Legen wir zugrunde, dass irgendwann jede Band mal angefangen hat, im versifften Proberaum auf der Suche nach sich selbst. Mittlerweile werden – gerade auch bei uns im Genre – Bands förmlich hochgepusht, die niemals wirklich Berührungspunkte mit der Szene, der Einstellung und dem Lebensgefühl ihrer Fans zu tun hatten. Das wird dann auf die immer selbe art und Weise abgekocht und in mundgerechte Stückchen dem Hörer präsentiert – Natürlich top ausproduziert und mit der Top10 Band im Background als Strippenzieher. Kann ich mir absolut nicht erstrebenswert vorstellen, darum lieber in unserem Fall weiter kleinere Brötchen backen, als radiotauglichen Plastik-Sound, der nicht von Herzen kommt.
„Antiserum“ – ein Song, der klar macht, dass wir gar nicht merken, wie wir uns selbst auslöschen. Welches Antiserum muss es denn geben, damit man doch noch die Kurve bekommt?
Marvin: Wir müssen uns einfach wieder darauf konzentrieren, das wir alle nur Gäste auf diesem Planeten sind. Klingt zwar völlig abgedroschen und plump, aber uns liegt doch wirklich nichts mehr an unserer Natur, unserer Kultur und dem Zusammenleben als individuelle Menschen.
Es ist irgendwie ein Kampf darum, wer mehr produziert, wer mehr konsumiert und alles dazwischen bleibt völlig auf der Strecke. Jeder noch so kleine Schritt kann in die richtige Richtung gehen. Mal das Auto stehen lassen, mit dem Fahrrad oder Öffi fahren. Seinen Müll nach der Party auf dem Festivalgelände mitnehmen… und so weiter.Wir kaufen die Billigwurst im Discounter und haben Angst davor, uns impfen zu lassen, weil man nicht weiss, was drin ist? Diese Doppelmoral ist Gift und wird durch die ganze Social-Media-Blase in unsere
Adern geballert, Tagein, Tagaus.
Im Song „Die Nacht ist mein Grabstein“ habt ihr Unterstützung vom Hip Hop-Künstler Gorrest Fump erhalten – wie kam es zur Zusammenarbeit?
Marvin: Ich hab´damals mit 16 schon angefangen Musik zu machen. Da ich damals zu faul war, ein Instrument zu lernen, habe ich mich als Rapper versucht. Hab mich auf viel mit der lokale Rap-Szene beschäftigt. Und irgendwie kam mir beim Schreiben von “DNIMG” die Idee, das da unbedingt drauf gerappt werden muss. Bei mir wars zu lange her, als das ich mir das wirklich zugetraut habe, also hab ich mal gecheckt, wer in KL noch so aktiv ist. Mit Fump haben wir jemanden gefunden, der genau die ursprünglichen Werte von Deutschrap vermittelt. Einer der spaßigsten Songs auf der Scheibe!
Mit „Auf dich und dein Leben“ gibt es eine herz-zerreißende Ballade, die vom Verlust einer geliebten Person handelt. Autobiografisch? Wie schwer fällt es euch, diese Gefühle in Songs zu packen?
Marvin: Glücklicherweise ist mir dieser Trauerfall nicht selbst passiert, aber gerade wenn eine Person, die dir sehr Nahe steht, mit solchen Verlusten zu kämpfen hat, bekommt man sehr viele dieser Gefühle sehr intensiv mit. Ich habe schon immer gerne Songs in verschiedenen Erzählperspektive geschrieben und auch hier ist eine ganz besondere Atmosphäre entstanden, die es dann auch mal als reine Ballade aufs Album geschafft hat und einen wirklich guten Kontrast zu den härteren Nummern bildet.
„Seuche und Segen“ – es gibt ganz bestimmt nicht immer eine gute Entscheidung. Wie wichtig ist die Hilfe, die man Freunden und Verwandten geben kann und wie stark ist es chrakterlich, dass man diese Hilfe auch anbieten kann?
Marvin: Ich glaube vieles hängt von dir als Person ab. Man glaubt gar nciht, wieviel Einfluss man mit guten Worten und darauffolgenden Taten hat. Mir hat vor ein paar Jahren mal ein Fan erzählt, dass er durch einen unserer Songs neuen Lebensmut gefunden hat, haderte mit Suizid usw. .Das war wirklich ein einschneidendes Erlebnis. Genau darum sind es auch solche Dinge, die Herzlos als Band geprägt hat. Das familiäre Umfeld sind unser wichtigstes Gut und man kann seine Hilf in schweren Zeiten gar nicht genug anbieten.
„Viel länger tot“ – denkt ihr darüber nach, dass ihr was verpassen könntet, wenn ihr mal nicht unterwegs seid? Sozusagen „rastlos“, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer…
Marvin: Wir verpassen ja gerade recht viel, keine Konzerte, kein Proben etc. Das zehrt schon ziemlich an uns, wenn man sein geliebtes Hobby nur noch bedingt mit der Fanbase teilen kann. Album-Release ohne feuchtfröhliche Release-Party ist eben nicht dasselbe. Wir wissen ja auch , das unser Schaffen irgendwann zeitlich begrenzt ist, und wenn einem da mal locker über 1 Jahr an Auftritte fehlen, macht uns das alles andere als glücklich. Musik ist unser Ventil, unsere Aufgabe und wenn wir irgendwann mal sechs Fuß tiefer liegen, wollen wir wenigstens sagen: Wir haben alles gegeben !
Wo seht ihr die Unterschiede im Vergleich zum Vorgänger-Album „Schwarz-Weiß-Neon“?
Marvin: Ich würde sagen, wir haben unsere Vorliebe zu modernem Sound mit mehr Metal-Input schon auf einigen Songs der letzten Platte entdeckt. Wir haben dann auch beschlossen, unsere Songs in einer etwas tieferen Grundstimmung zu spielen, haben uns mehr mit der Materie beschäftigt und sowas fliesst dann auch wirklich unterbewusst ins Songwriting und in die Ausarbeitung der einzelnen Songs mit ein. Mit “Babylon” stieg auch einfach der Spaß an den Songs, wir können uns noch ebsser mit den einzelnen Tracks identifizieren und können es kaum erwarten, die Dinger alle mal Live zu zocken! Ich denke, wir haben unseren Weg für die nächsten Alben damit geebnet. Der Mix passt einfach und “Babylon” macht mega viel Spaß!
Kurz noch zu Corona – wie sehr kam die Pandemie euch in die Quere? Song-Writing? Studio? Tour-Planung?
Marvin: Unseren Terminkalender hat das ganze recht wenig beeinflusst. Wir hatten im juni den Studio-Termin, sind in 2er Gruppen anch Frankfurt zum Recorden gefahren. Haben da täglich 8 Stunden im Keller des Studios nonstop an den Songs gefeilt. Da war die Aussenwelt relativ gut ausgeblendet. Konzerttechnisch hats da natürlich schon größere Einschränkungen gegeben, das einzigste richtige Konzert nach dem Lockdown war ein Akustik-Konzert mit sitzendem Publikum. War trotz der Umstellung ein unvergessliches Erlebnis und zeigt auch, dass wir einfach alle zusammen noch etwas durchhalten müssen, und wenn die Live-Aktivitäten wieder zu Alltag gehören, sind wir da. Bereit und mit mehr Spielspaß denn je!
Vielen Dank, die letzten Worte gehören euch!
Marvin: Vielen Dank für das coole Interview! Bleibt gesund und wenn ihr Lust auf unsere neues Album bekommen habt, würden wir uns natürlich riesig freuen, wenn ihr die Scheibe auch gleich vorbestellt. Wir haben wieder alles, was wir lieben und hassen auf die Platte gepackt, es klingt einfach nur unglaublich gut und macht Euch beim Hören hoffentlich egnauso viel Spaß wie uns beim Spielen! Bleibt ordentlich, Bis bald!
Interview von Florian P. im Januar 2021
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