Achim Reichel ist 75 Jahre alte geworden und hat passend dazu mit „Das Beste“ eine Best Of-Kompilation veröffentlicht. Wir haben uns ausführlich mit dem Musiker über viele verschiedene Themen unterhalten.
Hallo lieber Achim, wo erwischen wir dich gerade?
Achim: Ja, ich sitze hier in meinem Studio, an einem Tag, der fast so aussieht, als wenn es Frühling wäre. Und ich bin guter Dinge; gucken wir mal, was da jetzt gleich auf mich zukommt.
Mit „Das Beste“ legst du eine Werkschau vor, mit der du dir zum 75.Geburtstag beinahe selbst ein Denkmal setzt. Wie kam es zur „Best Of“-Idee und wie fand die Songauswahl statt?
Achim: Ja, ich habe immer gedacht, dass ich so viele verschiedene Sachen gemacht habe, dass das gar nicht unter einen Hut passt. Aber irgendwann dachte ich, dass das zwar nicht jedermanns Hut sein wird, aber so bin ich nun mal. Also habe ich mir gedacht, wenn ich 75 werde, ist das ein gutes Datum, um mal zurückzuschauen, einen Strich zu ziehen, was denn da alles so los war und eine kleine Werkschau anzuberaumen, in der Zeit, in der ich als singender Rock’n’Roll-Gitarrist unterwegs in Deutschland bin. Ja, ich dachte einfach, dass es an der Zeit war.
Zur Songauswahl: naja, auf der einen Seite müssen natürlich die Songs, die mal in die Charts geschnuppert haben, dabei sein. Daneben sind aber auch eine Menge Songs dabei, die zu meinen besten gehören, aber nicht unbedingt Charts-kompatibel sind. Also zum Beispiel ein Song wie „Regenballade“, der sprengt ja alle Rahmen der Spielzeiten, da er fast sieben Minuten lang ist. Und dazu gehören auch noch andere, die Überlänge haben – aber diese Balladen liegen mir sehr am Herzen und die ich für sehr gelungen halte. Insofern gehören sie auch zu dem Besten, was ich so fabriziert habe. Es ist auf keinen eine Zusammenstellung der Songs, die Charts-kompatibel waren, so ein Künstler bin ich gar nicht.
Wie eben schon gesagt, sind viele bekannte Songs auf der CD. Was sind deine persönlichen Favoriten und zu welchen Songs gibt es persönliche Erinnerungen?
Achim: Also bei manchen Liedern ist es ja schon interessant, dass man weiß, wie sie entstanden sind. Um mal eins zu nennen: „Der Spieler“. Da hatte ich damals Jörg Fauser kennengelernt, ein deutscher Schriftsteller meines Alters, der auch Gedichtbände veröffentlicht hat. Ich habe den dann einfach mal angerufen und ihm gesagt, dass ich einiges von ihm gelesen habe und ihn dann gefragt, ob er sich vorstellen kann, dass man da auch Songs draus macht. Seine Antwort war: „Ja, wer blättert schon in deutscher Gegenwarts-Lyrik im Buchhandel rum? Aber wenn das mal aus dem Radio kommen würde, würde ich es toll finden.“ Ja, also habe ich es dann gemacht und schon beim nächsten Album, welches nur aus seinen Texten bestand, haben wir uns dann auch zusammengesetzt und überlegt, worüber wir schreiben können. So kam es zum Text für den Song „Der Spieler“, der im ersten Textentwurf dann gleich in der ersten Strophe alles verlor und da dachte ich mir, ach Jörg, lass ihn doch erstmal gewinnen, sonst geht der Daumen ja nur nach unten. Letztendlich kam es dann zu der Version, die dann auch veröffentlicht wurde und die war dann aber auch wieder über 5 Minuten lang.
Dann sagten auch alle, dass es ein super Songs ist, aber man könnte da ja keine Single von machen – der Rundfunk möchte ja nur 3-Minuten-Songs haben. Irgendwann wechselte ich dann den Vertriebspartner und dann kamen auch die an und wollten „Der Spieler“ als Single veröffentlichen. Da habe ich nur gesagt, dass ich hoffe, dass sie wissen, auf was sie sich da einlassen, der Song ist ja viel zu lang. Aber sie sagten dann, ihnen sei es egal, lasst es uns versuchen.
Wenn man mehr oder weniger gegen geltende Regeln verstößt und es funktioniert trotzdem, das finde ich natürlich doppelt-super!
Und was dann noch war, ist das mit dem nicht tot zu kriegenden „Aloha Heja He“, dazu gibt es ja auch eine Geschichte. Die Komposition dazu lag lange bei mir auf einem Tonband herum, ich hatte sie schon vergessen. Da war nur die Melodie drauf, den Text gab es noch gar nicht. 15 oder 20 Jahre später, habe ich diese Tonspur bei einem Umzug wiedergefunden, da war gerade das Album „Melancholie & Sturmflut“ dran, ich hatte die Songs eigentlich schon fertig und da fand ich dieses Band und fragte mich, was da denn noch so drauf ist. Beim Anhören dachte ich, dass die Melodie ja nicht so schlecht ist und habe schnell einen Text dazu geschrieben, so hatte ich noch einen Song mehr. Ja, dann sind da natürlich Vokabeln reingeraten, wie „Gonokokken“ und „Matrosen am Mast“, sowas macht ja überhaupt nicht, wenn man irgendwie einen Erfolg anpeilt. Scheinbar haben viele Radiostationen nicht gewusst, was das ist. Das sind so kleine Sachen, die finde ich besonders schön. Wenn Regelverletzungen stattfinden, es aber trotzdem funktioniert.
Achim Reichel – Die Ballade von der Loreley (Live in Hamburg, 2003)
Seit 1971 veröffentlichst du im Abstand von 1-3 Jahren neues Material. Wie schaffst du es, nach all den Jahren, immer wieder neue Melodien ins Leben zu rufen?
Achim: Ja, da kling ich jetzt vielleicht etwas komisch, wenn ich das sage, aber die Melodien, die fliegen einem mehr oder weniger zu. Da muss man eigentlich nur zur Gitarre greifen und manchmal noch nicht einmal das. Wenn ich einen Text sehe, der mir gut gefällt, dann ist da oftmals schon eine Wort-Melodik vorhanden. Und von der Wort-Melodik bis zur Melodie ist es eigentlich nur ein kleiner Schritt. Die Frage, die dann am Ende steht, ist, ob es jetzt gut oder weniger gut ist – aber einfallen tut einem eigentlich immer was. Dafür bin ich offensichtlich geboren, anders kann ich mir das auch nicht erklären, dass ich in diesem Business schon mehr als 50 Jahre unterwegs bin. Und dann bei den ganzen verschiedenen Sachen, die es dem Zuhörer auch nicht immer leicht gemacht haben, nicht untergegangen bin – das ist auch so ein Kuriosum, bei dem ich ab und zu innerlich eine kleine Kerze aufstelle.
Auch live bist du sehr aktiv. Live-CDs – für dich wichtig oder nur was für Fans?
Achim: Live ist insofern interessant, weil da auch keine Getrickse mehr möglich ist. Im Studio kann man alles Mögliche ausbessern oder einfach nochmal machen, das hört ja erstmal noch keiner. Aber auf der Bühne ist es so, dass man den Song zu Ende bringen muss, wenn man ihn angefangen hat. Somit ist es das Ehrlichste überhaupt. Aber man kann natürlich auch einen Live-Mitschnitt im Nachhinein ausbessern, aber live ist für mich auch in dem Sinne interessant, weil das Publikum ja auch mitspielt. Man spürt ja auf der Bühne, was da unten los ist und wie die Leute so drauf sind. Da kommt ja eine Botschaft rüber und das sorgt manchmal dafür, dass Sternstunden entstehen, die im Studio nicht wiederholbar sind. Live-Aufnahmen haben eine ganz eigene Realität und sind für ein wichtiges Kriterium.
Wenn du ein Konzert ohne Songs der aktuellen „Best Of“-Scheibe spielen würdest, welche Songs wären das?
Achim: Naja, wenn man 22 Alben gemacht hat, dann ist da natürlich irre viel. Ich habe mich so schon sehr geplagt, um eine Auswahl zustande zu bringen. Es gibt natürlich noch einige, die auch mit dabei sein könnten – aber da hätte ich Schwierigkeiten, was aufzuzählen. Den „Cabrio Joe“ von der „Wahre Liebe“-LP fand ich ganz lustig, „Amazonen“ ist da auch nicht drauf; da sind so einige Dinger, bei denen man denkt, dass sie eigentlich mit dabei sein müssten. Es gibt aber ja auch die Unterscheidung: Stücke, die im Studio gut funktioniert haben, funktionieren nicht immer genau so gut auf der Bühne. Im Studio hat man ja einen Haufen Technik zur Verfügung, da kann man hier noch was dazu spielen und an einer anderen Stelle wieder was wegnehmen. Wenn das alles auf der Bühne stattfinden sollte, dann müssten bei einigen Songs 10 Leute auf der Bühne stehen. Das wäre dann unvernünftig…
Achim Reichel – Dolles Ding
Deine CD „Regenballade“ wird zur Verwendung im Deutschunterricht empfohlen. Was bedeutet dir das?
Achim: Ja, das finde ich natürlich super. Früher in der Schule, hättest du mich mit diesen alten Balladen jagen können. Da fehlte der Zugang. Vielleicht muss man dann dafür doch einen reiferen Kopf haben. Als ich in der Schule war, hatte ich nur Rock’n’Roll im Kopf und alles andere hat gestört. Der Gehalt, der in diesen Balladen steckt, der ist mir erst viel später zugänglich geworden. Und da gibt es welche, die haben eine völlig gerade Sprache – Klartext, im Grunde genommen. So ein Song wie „Pidder Lüng“ ist ja einer der Längeren; als ich den das erste Mal bewusst gehört habe, dachte ich mir, dass es ja eine kleine Reportage ist – hochspannend.
Noch einmal zu „Aloha Heja He“ – im ganzen Land bekannt. Für dich eher eine Last oder Wohltat?
Achim: Das geht so durch mehrere Stadien. Am Anfang habe ich ihn einfach nur so mit aufgenommen und hab da nichts mit verbunden. Als die Leute von der Plattenfirma ins Studio kamen um zu hören, was ich so fertig habe, da spielte ich unter anderem auch „Aloha Heja He“ vor, nur der Chor war noch nicht mit drauf. Da kam der Song aber nicht so richtig gut an. Als der Song dann später komplett fertig war, musste ich mich bei der Plattenfirma richtig gerade machen, damit die den Song als Single rausbringen. Die wollten eigentlich was ganz anderes haben. Und als der Song dann rauskam, ging es ja auch nicht sofort los, er wurde nicht gleich angenommen. Da kamen dann Sprüche wie: „Der Song ist zu sehr ‚Out Of Normailty‘“. Und hierzulande ist es ja so, wenn einer erfolgreich ist, ist er auch gleich verdächtig. Nach dem Motto: „Jetzt macht er auf Kommerz“. Irgendwann hatte irgendjemand die Idee mit dem „Trockenrudern“. Ich habe gedacht, dass ich spinne, als ich das das erste Mal gesehen hab. Wer ist denn da drauf gekommen? Viele Menschen saßen hintereinander auf dem Boden beim Trockenrudern – der Song hatte ein Eigenleben entwickelt. Man verstehe selbst nicht genau, was man da auf die Rampe geschoben hat.
Also es ist wie es ist und ich wäre ja doof, wenn ich mich von dem Song distanzieren würde…nee nee, mittlerweile bin ich da verdammt stolz drauf.
Nach so einer langen Karriere, welche Geschichten haben dich am meisten bewegt? Gibt es was, was man nie vergisst?
Achim: Ja, da gab es so einige. Wenn so eine Karriere durch mehrere Jahrzehnte geht und sich die Art zu kleiden, der Jargon und die Haarfrisuren ändern. Kurz gesagt, es ändert sich oftmals, was angesagt ist. Also muss man sich die Frage stellen, ob man immer das machen muss, was gerade angesagt ist? Und da habe ich für mich gesagt: „Nee, ich mache das, was mir gefällt, wozu ich Lust hab und nicht das, was die Zeitströmung mit sich bringt.“ Somit läuft man auch nicht Gefahr, eine Eintagsfliege zu werden. Junge Menschen müssen junge Musik machen. Wenn ein älterer Musiker junge Musik macht, dann ist er verdächtig. Somit bin ich immer bei mir geblieben.
Aber um auf die Frage zurückzukommen, es gibt ja auch nicht immer nur gute Geschichten. Zum Beispiel zur Wonderland Zeit, 1968 war das, da haben wir mal eine Fernsehsendung gemacht. Und wir waren damals so drauf, dass es keinen Chef gab – wir waren ein Kollektiv. Alle waren gleichberechtigt. Und da sehe ich auf dem Monitor, dass die die ganze Zeit nur den Sänger zeigen. Und da habe ich dem Regisseur gesagt, dass wir (die anderen) genauso wichtig sind. Da hat der mich zusammengefaltet und angeschrieen, als wäre ich ein Statist. Da hat man nicht mal das Recht, irgendwas zu sagen. Das ist so ein Sache, die ich nie vergessen werde. Aber diese Typen sind, Gott-sei-Dank, ausgestorben.
Das ist genauso wie mit Sponsoren. Sobald man welche hat, denken die, sie können alles bestimmen. Und da dachte ich mir auch, dass man sowas besser sein lassen kann – geht ja auch so, also ohne. Aber reingerasselt ist man da auch. Man geht auf die Bühne und da stehen dann riesige Werbeplakate – auf der Bühne! Nicht an der Seite, oder dahinter…das war dann zu viel, nur weil der Sponsor viel Geld dafür bezahlt.
Auch, dass Rundfunksender sagen, dass sie ein Lied zwar spielen, aber das Gitarren-Solo rausschneiden. Sowieso, dass die Radios sagen, dass die Musik gut ist, sie passt aber nicht ins Format. Der Gipfel war, dass ein Hit-Radio sagte, dass sie zwar Hits spielen, sie aber nicht machen. Also wenn ich dann meinen Hit habe, spielen sie ihn auch. Da dachte ich auch: „Mein lieber Schwan“!
Kurz zu den Auftritten. Was hat sich bei dir geändert und was ist vielleicht immer gleich geblieben?
Achim: Also es ist ja viel Technik dazu gekommen, so dass auch live viel dazu gesteuert wird. Vor über einem Jahr bin ich mit meinem 70er-Jahre Projekt „A.R. & Machines“ in der Elbphilharmonie aufgetreten, mit einer Musik, die was ganz anderes ist, als Lieder zu spielen. Da kann man auch Sounds abfahren lassen, die aus dem Rechner kommen. Also live ist heutzutage ein weiter Begriff. Als ich der Agentur das sagte, dass ich auch etwas mit Computer-Zuspielung machen wollte, da sagten die, dass wäre mittlerweile doch völlig normal. Damit bin ich nicht der Einzige. Es hat sich eine Menge verändert.
Du bist ein fester Bestandteil der deutschen Musikszene. Was rätst du der jungen Generation und gibt es einen Achim Reichel-Nachfolger?
Achim: Ein junger Reichel? Keine Ahnung…ich denke, dass das nicht so einfach ist. Meine Art des Gesangs ist ja nicht immer melodien-treu. Also dass man die Melodie einfach mal so nachsingen kann. Gerade bei den Balladen ist es sehr schwer. Oft schicken mir Leute Songs zu, die sie nachgesungen haben und da sitzen die Melodienschwerpunkte meist ganz woanders, als bei mir. Also man kann mich glaube ich nicht so leicht nachsingen. Gerade heutzutage, wo vieles gleich klingt, da ist man doch so ein ganz eigener Charakter und das scheint mir auch genau der Punkt zu sein, warum man meine Musik mag.
Vielen Dank, Achim Reichel!
Interview im Februar 2019
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