2020 das war ein Katastrophenjahr, ich denke, fast für jeden Menschen. 2019 habe ich noch gesagt „Boah, 2020 kann es ja nur besser werden!“ Darüber könnte ich mich nun kaputt lachen, denn es kann noch schlimmer werden, das weiß ich jetzt. Und glaubt mir, so einen unbedachten Satz, werde ich niemals wieder sagen!
Alles begann mit einem eingewachsenen Zehnagel Anfang März, was ich beiläufig bei meiner Hausärztin bei einer Routineuntersuchung erwähnte. Sie gab mir eine Überweisung und sagte, ich sollte mal diese chirurgische Praxis aufsuchen. Die kennen sich damit aus! Gesagt getan, ich konnte ja nicht ahnen, was dabei rauskommt. In der besagten Praxis bekam ich direkt eine Spritze in den Fuß gehauen und der Arzt schnitt freudig an meinem Zeh rum. Das Alles ohne mich vorher aufzuklären oder eine Einwilligung von mir zu bekommen. Ich denke, er wollte mich schnell wieder loswerden. Dann kam noch ein Verband drum und ich konnte ab nach Hause.
Direkt zu Hause angekommen, bekam ich Schmerzen, unglaubliche Schmerzen. Ich kann das wirklich nicht beschreiben. Aber der eifrige Operateur hatte mir ja zwei Ibuprofen mitgegeben, welch Glück. Im Prinzip hätte ich auch Smarties schlucken können, bei diesen Schmerzen.
Am nächsten Tag ging ich in die Praxis zum Verbandswechsel und wies auf die unerträglichen Schmerzen hin. Der Zeh war mittlerweile dunkellila und ich sagte, dass da etwas nicht stimmt. Der Arzt meinte, dass alles so richtig sei, stellte mir ein Rezept aus und gab mir einen Termin zur nächsten Kontrolle. So zog sich das Ganze über Wochen! Der Zeh war mittlerweile schwarz, ich hatte einige Kilos verloren, konnte vor Schmerzen nicht mehr essen, schlafen und denken. Ich wollte eine zweite Meinung und rief in einer anderen Praxis an. Dort hieß es, dass ich zu dem Arzt gehen sollte, bei dem ich war. Es war ein Teufelskreis! In der Praxis stellte man mich mittlerweile da, als würde ich verrückt sein oder nur Tabletten wollen. Ich war mittlerweile so weit, dass ich selbst schon an mir zweifelte. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich einfach sterben würde.
Ich rief bei meiner Krankenkasse an und diese sorgte dann für eine zweite Meinung. Das einzige was dieser Arzt mich fragte: „Wer war das?“ Dann ging eigentlich alles relativ schnell – ich wurde direkt ins Krankenhaus verlegt. Der Knochen war schon komplett schwärzlich und ich hatte eine ordentliche Sepsis. Im Krankenhaus versuchte man erst immer noch den Zeh zu retten, bis Juni. Leider kam aber dann der Tag, an dem amputiert wurde, es blieb nichts Anderes übrig. Der Knochen war einfach nicht mehr zu retten.
Für mich echt ein Albtraum, immerhin habe ich ja auch seit meinem 6 Lebensjahr Ballett getanzt. Tja, aber ohne Zehen kein Ballett – so sieht es nun Mal aus. Zu erwähnen ist noch, dass die Großzehe für den Gang und das Gleichgewicht eine wesentliche Rolle spielt und ich nun mit diesen Einschränkungen leben muss. Die Behandlung ging natürlich weiter, die Schmerzen blieben unerträglich, auch nach der Amputation. Da die Wunde ja septisch war, musste sie offen heilen. Ich bekam einen Haufen Morphium, um dies zu ertragen. Bis Mitte Juli blieb ich im Krankenhaus und musste dann alle paar Wochen dort zur Wundkontrolle. Morphium musste ich natürlich immer weiter nehmen. Ich bekam echt kaum noch etwas geregelt, eigentlich war ich ja nun auch ununterbrochen völlig high.
Am 01.09.2020 kam es dann zum Super-Gau. Eigentlich lief ich, bzw. humpelte ich gerade eine Treppe hoch, als mir „ganz komisch wurde“. Mein rechter Arm bewegte sich nicht mehr richtig, mein rechtes Bein wollte auch nicht mehr und das Sprechen fiel mir plötzlich schwer. Ich dachte wirklich, ich hätte mir einen Nerv eingeklemmt oder einen Bandscheibenvorfall. Ich hatte in den letzten Monaten ja auch viel gelegen. Also legte ich mich zu Hause in mein Bett und wartete darauf, dass es besser werden würde. Es wurde aber komischerweise immer schlimmer. Ich wollte eigentlich nur noch schlafen, die kleinste Bewegung war anstrengend, ich konnte irgendwie auch keinen klaren Gedanken mehr fassen. Am 04.09.2020 hatte ich einen Termin im Krankenhaus, Kontrolle der Amputationswunde. Ich kam kaum aus dem Bett und fortbewegen ging nur schleppend. Ich fragte meine Mutter, ob sie mich zum Krankenhaus fährt. Dort angekommen, sagte ich der Ärztin, die meine Wunde untersuchte, dass ich mich so merkwürdig fühle und dass ich meinen Arm nicht bewegen könne und mein Bein nicht funktionierte. Zudem lief mir beim Sprechen ziemlich die Spucke aus dem Mund, peinlicherweise. Die Antwort: „Dafür bin ich nicht zuständig!“ Zack…wurde ich wieder nach Hause geschickt.
Zu Hause angekommen, legte ich mich sofort wieder ins Bett, ich wollte nur noch schlafen, schlafen, schlafen. Zum Glück kam meine Nichte Kira am Abend, als Altenpflegerin reichte ihr ein Blick. Sie rief sofort den Notarzt. Zum Glück wurde ich auch in ein anderes Klinikum gebracht, dass ZUSTÄNDIGE Ärzte hatte. Es stellte sich heraus, dass ich drei Schlaganfälle hatte, leider konnte man aber nichts mehr machen, da es einfach zu spät war.
In den ersten Tagen auf der Intensivstation kam das eigentlich alles gar nicht richtig an bei mir. Ich verstand gar nichts, wie auch? Mein Gehirn wollte ja auch nicht. Ich muss jedoch sagen, dass sich alle auch schon dort die größte Mühe gaben. Täglich waren Therapeuten da, die mir halfen aufzustehen, sprechen zu üben, Bewegungen mit dem gelähmten Arm durchzuführen und auch wieder mein Gesichtsfeld zu erweitern. Leider hat nämlich mein rechtes Auge einiges abbekommen und somit muss das linke Auge lernen, diese Defizite auszugleichen.
Nach 14 Tagen kam ich dann zur Reha nach Bad Oeynhausen. Bis dahin konnte ich auch schon wieder fast klar denken und nachdem ich ein paar Mal am liebsten alles hingeschmissen hätte und nirgends mehr Sinn drin gesehen habe, stand für mich fest „Aufgeben ist keine Option! Niemals!“ Ich sagte in der Reha, dass sie mir an Therapien geben sollen, was möglich ist, am liebsten alles. Und das haben sie auch getan. Von Physiotherapie, Sporttherapie über Logopädie, Neuropsychologie bis Gesichtsfeldgruppe war ich von morgens 8 Uhr bis abends 17 Uhr beschäftigt und kann mich bei den Therapeuten nur bedanken. Natürlich ist alles schwierig und oft war ich verzweifelt, weil ich keine Fortschritte sah, aber die Therapeuten haben immer wieder motiviert und angespornt weiterzumachen.
Jeder noch so kleine Fortschritt, der einem selbst gar nicht auffiel, wurde lobend erwähnt. 10 Wochen brauchte ich, um nach Hause entlassen zum werden. Natürlich ist noch nicht alles so, wie es mal war. Oft fehlen mir die richtigen Worte, wenn ich etwas erzählen möchte, mein rechter Arm bewegt sich wie ein Roboterarm….sehr unbeweglich und meine komplette rechte Seite spüre ich nicht wirklich. Aber auch nun zu Hause erhalte ich ambulante Therapien und es geht täglich etwas besser.
Natürlich darf oder kann ich nicht mehr in meinen alten Beruf als Krankenschwester in der Psychiatrie zurück. Aber ich nehme es jetzt als Chance, um mich beruflich zu verändern. Mit Bestimmtheit kann ich schon sagen, dass es mit der Fotografie auf jeden Fall weitergehen wird, natürlich vor und hinter der Kamera und auch im Musikbereich ist etwas in Planung, dazu möchte ich aber noch nicht so viel sagen, lasst euch überraschen. Mit meinem Bruder Manuel Hillwig habe ich schon einige Projekte ins Auge gefasst. Ich möchte hier nicht vergessen, mich bei Steve Vivash von Touchwood Design zu bedanken, der mit mir die Fotos während meines Rehaaufenthaltes gemacht hat. Auch dies hat natürlich dafür gesorgt, dass mein Selbstbewusstsein gestärkt wurde und ich den Antrieb hatte weiterzumachen. Auch bedanke ich mich bei meiner Nichte Kira, die mir das Leben gerettet hat. Ohne sie würde ich hier heute nicht sitzen und diesen Text schreiben. Ich hatte so einige Schutzengel, die mir sehr geholfen haben!
Bericht von Cora Stern
Fotos: Touchwood Design
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