Ich wollte etwas Gruseliges schreiben, weil schließlich Halloween ansteht. Mir fiel aber nichts ein, außer folgender Kurzgeschichte:
„Ich glaub‘, es hackt!“ zischte Freddy ungehalten und deutete auf Michael Myers, der die Abfahrt ihres Nightliners wieder mal verzögerte, weil er in der Böschung der Parkbucht noch mit unkeuschen Teenagern beschäftigt war. Jason nickte mehrmals energisch, und Freddy dachte sich ein weiteres Mal, dass Jason wirklich eine quälende Plaudertasche war, bevor er resigniert seufzte und sich dann seinem Tablet widmete, auf dem just erfreulicherweise das Sandmännchen flimmerte.
Na ja, nicht jeder Text kann leuchten.
Weil ich die Gruselidee aber noch nicht aufgeben wollte, bin ich nach Einbruch der Dunkelheit joggen gegangen. Geht man joggen? Oder schimpft dann gleich Frau Heidenreich, ich hätte gar keinen Laufstil? Wie auch immer, bei meinem Tempo dürfte „joggen gehen“ auf jeden Fall die passende Formulierung sein.
Ich weile derzeit in fußläufiger Nähe zu Wald und Feldern, und das ist ideales Gruselumfeld, also hin da und hoffen. Auf Horrormission. Als Kind hat mich besonders Grimms Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ fasziniert, denn das war mal echte Action. Jedenfalls, soweit ich mich an den Plot erinnern konnte. Drum erzählte ich die Story oft und gerne, zum Beispiel auf Kindergeburtstagen nach dem Kuchenessen in der Kaminecke, wobei ich aber stets das Ende improvisierte, auch weil ich mit dem ursprünglichen Finale nicht einverstanden war. Da ich aber auch keine wirklich originelle Alternativ-Pointe parat hatte, zerfaserte meine Erzählung zum Ende stets und klang dann ungefähr so: „Und dann ging er aber noch in einen anderen Wald und der war noch gruseliger, mit Mumien und Vampiren und Werwölfen überall, und da gruselte er sich dann doch plötzlich, weil: Es war auch Nacht.“ Zugaben gab’s keine. Die Geburtstagseinladungen wurden auch spärlicher.
Jogging bei Nacht an endlosen ungeernteten Maisfeldern entlang, eignet sich sehr gut zum Gruseln. Jedenfalls wenn das Sternzeichen „Hasenfuß“ ist, so wie bei mir. Eigentlich finde ich das Hasenfüßen gegenüber unfair, denn die bringen Glück, und machen außerdem die Hasen so schnell, und da hab ich als Langschneckenläufer höchsten Respekt vor. Zudem gilt zusätzlich die Formel „Furcht erhöht das Tempo“, und so gesehen passt es ja auch noch. So ein Glück! Bestimmt auch wegen der Hasenpfote. #themenknotengutgemacht
Zurück zum Gruseln: Ich laufe also durch finsterste Nacht, und sofort wuchern aus allen Büschen und Schatten düstere Gestalten. Ich denke mir direkt zahllose Leatherfaces herbei, besser aber noch entflohene geisteskranke Schlitzer, denn die sind nicht so laut wie die motorsägende Ledermütze. Dafür sind sie bucklig, aber gelenkig, rennen gestenreich hüpfend hinter dir her und kichern dabei irr. „Irrkichern“, das gruselige Lachpendant zum eigentlich eher süßen „irrlichtern“. Ich selbst irrlichtere bald auch, denn ich verlaufe mich schon tagsüber auf dem Weg zum Stammbäcker, wobei ich aber auch erklären muss, dass mein Stammbäcker etwa 30 Kilometer von meiner Wohnung entfernt ist und in einem Stadtteil haust, der ausschließlich aus labyrinthartigen Gässchen und verwunschenen Horrorhinterhöfen besteht, denn er ist frei erfunden, backt aber die tollsten Schrippen. Leidern taugen seine Semmeln nix.
Während mich also verrückte Killer und sägende Schneidergesellen verfolgen, glaube ich plötzlich, hinter mir ein Grunzen zu vernehmen. Ich fürchte, es ist ein Wildschweingrunzen, und das ist uncool, denn reale Wildschweine schlagen jeden fiktiven Killer. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das Grunzen nicht doch bloß von mir kommt, da ich ja nicht nur schreckhaft, sondern auch unsportlich kurzatmig bin, dennoch beschleunige ich lieber sofort und rufe drohend: „Ich habe eine Waffe und mein BFF heißt Obelix!“
Das wirkt tatsächlich, das Grunzen verstummt augenblicklich und mein Kopf beschäftigt sich jetzt nur noch mit den lustigen Galliern. Gut für Mut, doch schlecht für den Schrecken, und darum ging es ja ursprünglich bei meinem Nachtlauf. Immerhin, über Obelix lande ich rasch bei den Fat Boys, die ja quasi die Rapvariante des fröhlichen Hinkelsteinlieferanten darstellen. Die Fat Boys lieferten Ende der Achtziger mit „Are you ready for Freddy“ den Titelsong zu „Nightmare 3 oder „Nightmare 4“, was im Grunde egal ist, denn die Filme sind beide gut. Überhaupt ist die Nightmare-Reihe die einzigste Horrorfilmserie, deren Teile alle mindestens gut anschaubar sind.
Ich schrieb soeben „einzigste“, um zumindest ein paar Lesefrüchtchen eine kleine Gänsepelle auf den Rücken zu zaubern.
„Are you ready for Freddy“ nannten auch die Bonner Punkrocker von Molotow Soda 1989 ihre Nightmare-Hommage namens „Are you ready for Freddy“, die eigentlich – neben „Mysteryland“, der Spiegelweltnachtmahr von den Punkrockern Die Ärzte, der gelungenste Deutschpunkhorrorsongbeitrag überhaupt darstellt. Ich schrieb „die Punkrocker von…“, um zumindest konservative Punkpuristen zu greueln, und die gesamte Behauptung, damit sich vor Grausen die Nackenhaare von musiknerdigen Top 5-Listen-Erstellern hochstellen wie Zinnsoldaten.
Ansonsten kenne ich sowieso auch gar keine Grusellieder, von Alice Cooper mal abgesehen, dessen Album „Raise your fist and yell“ wohl das Nonplusultra des klassischen synfonischen Shockerkonzeptalbums darstellen dürfte. „Du gottloser Pseudo!“ brüllt mich nun ein langmähniger Koloss in blutbuntbestickter Jeansweste an. Wo kommt der denn her? Egal, seine Augen lodern böse, er wütet und kreischt etwas von Satan und „Schools out“ und rennt mir mit einer Machete hinterher. Ich flüchte und schreie „Terra pestem teneto, salus hic maneto!“ in die Dunkelheit, denn das ist der einzige Bannspruch gegen teuflische Kräfte, den ich kenne. Er ist aus John Sinclair und wirkt leider nur in Verbindung mit dessen Superkreuz, ist also in meiner Situation völlig nutzlos, doch wieder habe ich Glück, denn gerade, als sich der Machetenmetaller auf mich stürzen will, kracht ein Mähdrescher aus dem Mais und zieht den Koloss in seine kreischenden Häcksler. Vielleicht kreischt aber auch der Koloss, das kann ich jetzt nicht so genau unterscheiden, ich bin gerade viel zu erleichtert für solche Feinheiten. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer, denn nun dreht der Drescher und rattert unbarmherzig auf mich zu. Nun kommt einer der Nachteile von Hasenfüßen zum tragen, denn ich starre bloß in die nahenden Scheinwerfer und bin völlig erstarrt, gerade wie ein hypnotisierter Hase vor der Schlange.
Dann erfassen mich die Häcksler und ziehen mich in das bebende Ungetüm. Ciao.
Nein, Quatsch, war nur ein Ulk. Der Mähdrescher hält, und Alice Cooper springt aus der Fahrerkabine. Er klopft mir auf die Schulter und bedankt sich für meine kompetente Einschätzung seines Albums, dann fragt er, warum ich mich hier überhaupt rumtreibe. Ich gebe Auskunft, verzichte aber auf die Gegenfrage, weil es zu sehr wie eine geheuchelte Replik wirken könnte, und frage statt dessen, welchen Deutschpunkhorrorsong er empfehlen würde. „Oh, that’s easy.“ sagt er, „it’s „La Femme Pia“ from the Monsters of Liedermaching. Maybe the best Song about Vampires of all times.“
Da kann ich ihm nur beipflichten, denn ich hab es gern, wenn man uns in die Punkecke sortiert. Wir teilen uns freundschaftlich eine Zigarette, die wir leider kalt rauchen müssen, weil wir beide Nichtraucher sind. Das dauert natürlich und darüber geht die Sonne auf. Es wird Zeit, Abschied zu nehmen. Ich laufe der Sonne entgegen und erreiche bald den ersten Vorort der Stadt. Dieser Vorort ist tatsächlich viel gruseliger, als die gesamten Ereignisse der Nacht, denn hier hängen überall noch AfD-Plakate, und zwar in Kopfhöhe, was bedeutet, dass die hier keiner abreißt. Das Schlimme an der Realität ist eben leider die menschliche Schrecklichkeit in ihren unbegrenzten auswüchsen. Kein Wunder, dass man da von Zeit zu Zeit in Horrorhäuser oder Zombiewelten flüchten muss. Wie sonst könnte man die Machtlosigkeit vor dem realen Greuel kanalisieren? Schließlich blitzt in den Geschichten oftmals sogar eine hoffnungsverheißende Utopie durch den Grusel. Findet man in der Realität eher selten. Mir wäre eine Welt voller Zombies jedenfalls viel lieber, als eine Welt voller Menschen, die völlig faktenfrei wild hassend gegen eine Greta wüten, nur um ihre jämmerlich selbstgerechte Bequemlichkeit zu rechtfertigen, komme, was wolle. Die Wildschweine grunzen und werden immer lauter. Nun schüttelt es mich gerade vor Grausen. Ich hoffe aber gleichzeitig, möglichst vielen hier geht es gerade genauso. Denn von meiner Seite war’s das erstmal.
Reicht es für Halloween? Wenn nicht, gibt’s ja immer noch Alice Cooper. Und Freddy und Nachtwanderungen. Also bitte nicht sauer sein, bald gibt’s hier wieder Süßes.
Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.
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