Juni 2021: Der nietenledergestiefelte Kater

Tja, auch dieses Mal wird’s wohl leider nichts mit einer hübsch ausgewogenen und thematisch durchdachten Kolumne, denn wir haben gerade eine Katze zu Gast. Seit einer knappen Woche lebt der graugetigerte Mutz bei uns und regelt.

„Mutzcat hält die Welt in Atem“, so müsste der Titel des Films sein, dessen Handlungszentrum die gemütliche Dachkammer darstellt. Mutz ist von der Situation mittelmäßig begeistert, es scheint, als wären ihm hier für eine optimale Mutzhaltung zuwenig Sofas vorrätig. Hier hat er inzwischen eine zum Schlafen annektiert, eine als Kratzcouch und die Esstischstuhlkollektion nutzt er als Kletterwand. Damit fehlt aber immer noch eine Couch für seine Freizeit, lässt er uns wissen. Auch das kulinarische Angebot, das sein Frauchen für den Kurztrip mitgeliefert hat, genügt nicht seinen Ansprüchen. Angewidert beäugt er die Lachsröllchen in Birnensoße, kickt genervt das Schälchen Hühnchenbrust mit Kürbismousse quer durch die Küche und stürzt sich anschließend gierig auf unsere Veggieleberwurstknäckebrote. Einmal verwechselte er sie mit Wassermelone, was ihn derart abturnte, dass er augenblicklich zum Göbeln ins Bad verschwand, wo er dann vorm Katzenklo dramatisch in Ohnmacht fiel. Wir würden ihn auch gerne mal streicheln, aber dann drückt er sich sogleich in die Sofaritzen und blickt uns empört an.

Katzen haben insgesamt eine sehr große Ähnlichkeit mit Rockstars im Backstagebereich. Wir sind die Veranstalter des Events, das niemals stattfinden wird, weil wir irgendwas aus dem Vertrag nicht erfüllt haben.

Oje, Mutz ist soeben hier vorbeigeschlichen und hat einen kurzen Blick auf den Rechner geworfen. Er nickte fast unmerklich und ging dann weiter zum Kühlschrank, von wo er mich nun fortwährend anstarrt. Darum jetzt eine kurze Pause.

Bin zurück. Nach längerem Suchen fanden wir glücklicherweise etwas Hirschragout mit Preiselbeerkompott an Kaviartoast, das gefiel ihm halbwegs. Nur gut, dass uns Frauchen so gut eingedeckt hat, denn langsam gehen uns die Knäckes aus.

Jedenfalls, Mutz ist sehr, sehr sweet, aber seine Haltung zur Welt ist eine krude Mischung aus Axl Rose und Kurt Cobain. Oft versteckt er sich in den Regalen und schaut melancholisch in die Leere, meditiert stundenlang über dem Klackergräusch eines titschenden Pingpongballs und beobachtet die Stofftiere. Dann plötzlich, ohne Vorankündigung, blitzt gerechter Zorn in seinen Augen auf, er springt auf Tische und Bänke und reißt laut miauend mit sich, was er finden kann, bevor er stolz und ausgiebig seine Pfoten leckt, herablassend auf uns schaut und sich ins Schlafgemach verabschiedet. Ich hatte früher auch mal einen Kater, den Kater Minchen, und darum weiß ich, dass dieses Gebaren bei Katzen durchaus häufiger anzutreffen ist. Sie sind die Stars und haben Bedürfnisse. Ironischerweise beendete Minchen damals exakt dann seine bis dahin regelmäßigen Besuche in meinem Zimmer, als ich zum ersten Mal „Appetite for Destruction“ auf den Plattenteller legte. Kein Raum der Welt ist groß genug für zwei Axl Roses. Genau genommen hatte Minchen nur zwei Feinde auf dem Planeten: Axl Rose und die Kehrmaschine, die ab und an unsere Straße entlangfuhr. Das Ergebnis war bei beiden stets dasselbe: Mein Vater musste meiner Mutter neue Gardinen kaufen, und zwar genauso schöne wie die, die Minchen in ihren Panik/Wut-Attacken komplett in Fetzen gerissen hatte. Irgendwann begnügten wir uns mit Rolladen.

Mutz hat nichts gegen Musik im Backstage, ist ihm ziemlich egal. Aber dafür ist er nicht unbedingt mit der Balance gesegnet, die man Katzen allgemein nachsagt. Eigentlich ist er sogar ziemlich tollpatschig, kaum schafft er es, komplikationsfrei auf das Fernsehtischchen zu hüpfen. Entweder springt er zu kurz oder zu weit, weshalb er entweder vorm Tisch auf den Dez knallt oder gleich am Fernseher abprallt. In beiden Fällen dreht er im Anschluss durch und dann geht wieder die Miauaktion mit Rumtrümmern los. Ganz ohne Katzengras, Mutz ist wohl einfach naturstoned. Auch ganz schön rockstarmäßig.  Aber wir räumen gern und still hinter ihm her und auf und schreiben ansonsten alternative Speisekarten für den Herren, denn so will es der Vertrag wahrscheinlich. Das ein oder andere Mal waren wir ob seiner Ansprüche überfordert und haben wir uns vor Verzweiflung betrunken, dann lagen wir anderentags schlimm verkatert hilflos auf der Matratze und flehten um wahlweise Nachsicht, Verständnis oder zumindest ein paar freundliche Kuscheleinheiten. Aber selbstverständlich Pustekuchen, und das sollte man auch wissen: Nichts hilft gegen einen Kater so schlecht wie ein Kater. Der Boss saß unbeweglich vor dem Kühlschrank und schickte mit seinem Blick höhnische Blitze in unsere Richtung. Irgendwann ergaben wir uns seufzend unserem Schicksal und nahmen unser Tagwerk wieder auf.

Durch all diese Erlebnisse merke ich aber inzwischen, wie meine Hochachtung vor Veranstalter*innen immer weiter wächst, denn deren Tun und Sein ist altruistisch, nachsichtig und heldenhaft. Gibt es eine Hölle für bescheuerte Rockmusiker, wird sie so aussehen, dass die Diven da auf ewig in Zweizimmerwohnungen mit mindestens vier Katzen hausen müssen. Je eine für Drums, Gitarre, Bass und Gesang. Trieben die Rockstars es zu Lebzeiten so schlimm wie zum Beispiel Mötley Crüe, werden auch noch Manager- und Ehepartnerkatzen mitwohnen.

Apropos Mötley Crüe: Ab und an, meist aber des Nachts, wenn wir vom Tag ermattet im Bette liegen, dann kommt Mutz, schnurrt voller Sanftheit, und quetscht sich zwischen uns. Dann will er Liebe und Kuschelei wie Tommy Lee. Und wir streicheln ihn dann und fallen in großes Verzücken, denn auch für uns erfüllt sich damit unser innigster Wunsch. Einer Katze zu gefallen, das ist ein Sieg gegen alle Realitäten. Und damit von unvergleichlicher Süße, in etwa wie eine Ballade von Meat Loaf.

Jetzt wird’s aber erstmal Zeit für Mutzes Mittag. Ich schätze, es gibt Fleischklößchen mit Knäckekrüstchen und ein paar Softfleischminikissen zum Nachtisch. Ich hoffe, es schmeckt, denn wissen kann man das nie. Immer nur hoffen.

Ach so, falls Ihr Euch das jetzt fragen solltet, noch ganz kurz: Bei Hunden ist das anders. Die freuen sich über jeden Napf wie Bolle und hecheln fröhlich kläffend voller Dankbarkeit um jeden rum, der ihnen das „Du“ anbietet. Die sind sozusagen die Vorgruppe im Backstageraum. Sympathisch, so gesehen. Aber mit weniger Publikum. Ich denke da vielleicht an eine Coverband von DJ Bobo.


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of LiedermachingDie Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

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Dieser Artikel wurde am: 15. Juni 2021 veröffentlicht.

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