April 2021: Indiana Jones, Yormungander und Kohldampf

Ich habe Hunger. Sogar richtigen Kohldampf. Ich muss unbedingt was essen, völlig egal, was. Außer Auberginen, Rosinen und Affenhirn. Da hätte ich gerade überhaupt keinen Bock drauf, völlig egal, wie laut der Magen knurrt. Affenhirn kam mir gerade sowieso nur in den Sinn, weil ich erst kürzlich wieder „Indiana Jones im Tempel des Todes“ gesehen habe, und da kommt eine große Festmahlszene vor und da gabs als Dessert Rosinen. Glaube ich zumindest, denn ich war etwas abgelenkt vom Affenhirn, das dort auch serviert wurde. Warum ich den Film gesehen habe? Kurze Antwort: Warum nicht? Cool, Kolumne vorbei. Tschüß!

P. S.
Für alle, die noch etwas Zeit und Bock haben, hier eine etwas längere Erklärung: Also, ich habe den Indiana Jones-Film geschaut, weil ich vor kurzem völlig überrascht festgestellt habe, dass mir Heavy Metal eigentlich echt gut gefällt. Ich war völlig baff, denn Jahrzehnte habe ich viel Energie darauf verwendet, der Welt klarzumachen, dass ich mit Heavy Metal überhaupt nichts anfangen kann. Das klarzustellen war mir sehr wichtig, denn ich bin eine echte Hohlbirne.

Von meiner Sorte gibts enorm viele in der Musikwelt. Affen, die endlos irgendwelche Genregrenzen wiederkäuen und engstirnig alles andere aburteilen, was nicht in unsere schmalen Horizonte passt. Die Freiheit der Kunst hat einem enggestrickten Regelwerk zu folgen, sonst Kommerz, Fake oder Autotune. Gähn.

Weil ich den schluffigen dreckigen Sound von Punkrock liebte, war mir Heavy Metal zu technisch und präzise, und wie das so in der juvenilen Identifikationszeit halt ist, musste ich mich entscheiden, denn der Platz in Herz und Kopf reichte nicht für zweierlei Gitarren.

So wurde ich Punkrocker und verteufelte den Metal. Dem Metal war das recht, denn Metal und Teufel, das konvenierte töfte. Für die Heavy Metal-Band „Yormungander“ machte ich natürlich eine Ausnahme, denn die war erstens astrein und zweitens von unserer Schule. Es gab dort zu der Zeit drei Bands, die erfolgreichsten waren die Reaggaeband „Jah Culture“, die technisch versiertesten waren besagte „Yormungander“, die dritten dann wir mit den „Innocent Persons“, die schraddeligen Poppunk zu spielen glaubten. Im Gegensatz zu uns konnte man die beiden anderen Bands schon ziemlich bald zu diversen Gelegenheiten im Bonner Umland live bewundern, und natürlich pilgerten wir alle stets dorthin.

Einer der coolsten Anlässe war das Festival „Rock om Platz“, denn wer dort spielte, hatte es quasi geschafft. Das Festival bestand aus einem großen Bierzelt, das auf dem einzigen Parkplatz Vinxels aufgestellt und mit Theke und Bühne aufgefüllt wurde. Während der Konzerte betranken sich Vinxels Erwachsene ungerührt an den Biertischgarnituren im hinteren Zeltbereich, während die Jugend vorne moshte oder groovte, je nach Band.

Die „Jah Culture“-Band sollte als Headliner auftreten, vorher aber wurde die Bühne von „Yormungander“ geentert und ich erlebte hier mein erstes und bestes Metalkonzert aller Zeiten. Da „Yormungander“ epischen Metal spielten, hatten sie einen Keyboarder, der auf den martialischen Namen „Kolvi“ hörte. Er orgelte hymnische Klangteppiche in die begeisterte Meute, die noch nicht so ganz einig war, ob sie die Arme in die Luft strecken, vor der Brust verschränken oder in die Hosentaschen stecken sollte. Michi, der Drummer, zählte ein und ließ die Locken schwingen und Zito, der Bassist, ging ab, als wäre er diesmal wirklich an die Boxen eingestöppselt worden.

Georg spielte harte Riffs auf der Gitarre, schnell und genau und hart. Gut, zugegeben, Georg sah dabei trotzem wie Georg vom Pausenhof aus, stets freundlich lächelnd und absolut ungefährlich, doch sein Sound wehte die „Sünner Kölsch“ Wimpel, die über der Bühne hingen, in alle Höllenrichtungen.

Die große Oper begann, Pauken und Trompeten (vom Keyboard), die Ouvertüre vorbei, der erste Song startete, „Kiss of Judas“, und nun kam auch der Sänger dazu, „Valgard, der Berserker“ sein Name. Muskulös mit nacktem Oberkörper, die Unterarme mit Nietenarmbändern von den Ausmaßen eines ganzen Gürteltiers gepanzert, nahm er die Bühne ein und strahlte gestikulierend in aller Hölligkeit. Die Meute ging ab, neben mir, in der ersten Reihe, grinste mich ein Vinxeler Dorfbub an, schrie: „Jetzt gehts wohl ab, wa?“ zog sein Shirt aus und begann, ohne Pause rhythmisch seinen Kopf gegen die Bühnenkante zu knallen. Da keiner aus dem Publikum die Texte kannte, wurde wenig mitgesungen, aber das machte nichts, es wurde gejohlt, gepogt, geheadbangt. Der Höhepunkt des Konzerts war indes eine von Valgard länger geplante Zeremonie, in deren Verlauf er als Climax echtes Blut trinken würde.

Hier komme jetzt ich aktiv ins Spiel, darum müssen wir die Zeit etwas zurückskippen:

Ein paar Tage vorher, Valgard nimmt mich in der großen Pause zur Seite

. „Was gibts Valgi?“ frage ich, denn als guter Freund darf ich ihn so nennen. Mich nannten alle übrigens Kühn oder Kühni, glaube ich, denn Totte gab es da noch nicht. Valgi will nur eine Zigarette schnorren und geht dann wieder. Hoppla, falsch geskippt. Macht aber nichts, kurz darauf erfahre ich vom Blutplan, und da ich mit dem Sohn der Dorf-Metzgerei Müller gut befreundet bin, schlage ich da alsbald auf und will Blut für Metal.

„Und der will das dann auf der Bühne trinken?“ fragt Frau Müller und ich nicke begeistert.

„Hat er das denn vorher schon mal gemacht?“ fragt sie weiter und ich schüttele begeistert den Kopf.

„Er wird sich ziemlich wahrscheinlich übergeben.“ sagt sie nun und ich nicke begeistert.

Sie riet dann zwar dringend zu einer Kirschsaftalternative, aber ich möchte hier weder das Geheimnis lüften, was er schließlich wirklich trank, noch, ob es retour kam oder drinblieb.

Die Show war jedenfalls dramatisch dufte und ich schätze, auch „Gwar“ haben den Auftritt damals gesehen und sich ihr Showkonzept von „Yormungander“ abgeguckt.

„Jah Culture“ spielten danach aber ebenfalls klasse und ich glaube sogar, dass da dann auch plötzlich Mädchen waren. Meine Helden des Abends blieben dennoch „Yormungander“, was aber nichts daran änderte, dass ich auch künftig stets genervt die Augen verdrehte, wenn Valgi daheim „Judas Priest“ oder „Queensryche“ auflegte. Und das kam oft vor, denn wir haben lange Jahre sehr viel Zeit miteinander verbracht. Aber trotz der häufigen Metal-Dosen erwischte es mich nie, darum war ich neulich um so überraschter, als ich auf Youtube bei „Iron Maiden“ reinhörte und ein Kribbeln spürte, das rasant in Euphorie kulminierte. Ein Erlebnis, mit dem ich nie mehr gerechnet hätte. Aber herrlich, auf ne höllische Art. So, das war‘s, Kolumne vorbei. Teufelsfingergruß.

P. P. S.
Oh, Pardon, ich habe ja total vergessen, den Indiana Jones-Bezug zu erklären. Das liegt am Hunger, ehrlich.  Übrigens, von wegen Affenhirn, ich esse auch sonst kein Fleisch. War mir wichtig, das noch zu erklären. Sonst heisst es bestimmt wieder: „Der isst bestimmt sonst nur Fleisch!“ Und das stimmt ja nicht. Bin echt froh, das noch erklärt zu haben. Ciao, Vegetarier-V-Peacefingergruß.

P. P. P. S.
…ich weiß, habs selbst gemerkt. Nun aber schnell: Während ich am Computer Doodle Jump spielte, lief im Hintergrund ein Podcast, in dem ein Herr über Lieblingsalbencover referierte. Eins davon war „Powerslave“ von „Iron Maiden“, und ich wurde hellhörig, als er begann, von den ganzen versteckten Gags auf dem Cover zu schwärmen, zum Beispiel einer kleinen Mickey Maus. Neugierig geworden, stoppte ich das Spiel und googelte (googlete?) das Cover. Fand es, fand die Gags und bekam dadurch auf einmal große Lust auf zweierlei: In das Album reinhören und Indiana Jones gucken. Denn jener taucht auch auf dem Cover auf. Wie und wo verrate ich nicht, soll ein kleiner Suchbildspaß für die Ratefüchse unter Euch sein. Ist das was? Gut. Platte und Film fand ich übrigens beides super und sehr unterhaltsam. Auch gut finde ich den neuen Danger Dan-Song. Aber das tut ja jeder. Warum das anscheinend für alle aber sowas absolut Neues ist, versteh‘ ich nicht. Nie Georg Kreisler gehört, was? Kann ja noch kommen. Egal, Glückwunsch Danger Dan. Und Glückwunsch Totte, dafür, dass Du die Kolumne beendet bekommen hast. Als Ende zu flach? Gut, dann hier für Euch ein echt oscarreif mysteriöses Schlusswort: Rosinebud


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of LiedermachingDie Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

facebook:
www.facebook.com/derflottetotte

instagram:
www.instagram.com/der_flotte_totte

Dieser Artikel wurde am: 15. April 2021 veröffentlicht.

Ähnliche Beiträge

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert