Es wird gesprungen, geschubst, gebrüllt, Fäuste gehen nach oben und die Luft ist feucht von Bier und Schweiß. Das Moshpit reicht bis fast ganz hinten und wenn jemand zu Boden geht, kommen sofort aus allen Richtungen Arme um dem Gefallenen wieder auf die Beine zu helfen. Eine Community, in der Werte wie „Unity“, „Hold your Ground“ oder „Stay strong“ großgeschrieben werden. Am Merchstand wird ein neues, selbstgemachtes Szene-Fanzine namens Side by Side angeboten und eine großartige Kombination von Herzblut und D.I.Y liegt über dem ganzen Event. Vom Fotografen, über die Leute am Merch und dem Barpersonal, bis hin zu den Musikern und dem Publikum, sind alle gut vernetzt und freundlich zueinander – es ist eben eine große Familie, wie in den Neunzigern. Ich befinde mich ohne Zweifel auf einem Hardcore Konzert.
Es handelt sich hier jedoch nicht nur um ein beliebiges Konzert dieser Art. Die zwei Worte, die hier zwingend ergänzt werden müssen sind – Old School. Dieser Bezeichnung wird seit 1991 hierzulande keine andere Band gerechter als die, um die es hier geht. Eine Band, die seit mehr als 27 Jahren die Hardcore-Fahne hochhält. Die für zahlreiche Nachfolgende-Bands Inspiration und Motivation zugleich waren und es nach wie vor sind. Ganz klar, ich rede von Miozän.
Für die vier Jungs um Sänger Kuddel, war es am 01.12.2018 kein alltägliches Konzert im Kulturzentrum Mittendrin in Walsrode, denn die fünf Hardcore-Koriphäen zelebrieren ein Heimspiel. Die meisten kommen aus Walsrode oder der angrenzenden Region, kennen sich schon seit vielen Jahren und haben sich innerhalb ihres langjährigen Bestehens einen guten Ruf als Live-Band und ein abnormal gutes Standing in der Szene erspielt. Absolut zurecht, wie ich heute Abend zum wiederholten Male feststellen durfte. Wenn Miozän auf die Bühne geht, hagelt es Positivität, Attitüde, knackige Refrains und heiß erwartete Singalongs. Ich kenne wenige Bands, die eine solche Energie und Spielfreude zeigen und eine Bühnenpräsenz haben wie Miozän. Auch die Verstärkung die eingeladen wurde, um diesen denkwürdigen Abend zu ergänzen, kann sich mehr als sehen lassen. Mit By A Storm, Foxglove und Coldstare, wurden hier nicht nur Support Bands eingeladen, sondern vielmehr Freunde.
Ich war am 01.12.2018 dabei und wollte die Chance des Abends nutzen, um mir einige Fragen von Sänger Kuddel beantworten zu lassen. Vielen lieben Dank an dieser Stelle noch an Sonja Leonhard Fotografie, die mit vollstem Körpereinsatz für tolle Fotos gesorgt hat.
Moin Kuddel. Schön, dass du Zeit für mich hast. Metal.de hatte mal geschrieben, ihr liefert kein Comeback, sondern einen Neuanfang – fühlt es sich für euch wie ein Neuanfang an, immerhin hattet ihr eine lange Pause zwischen 2001 und 2014?
Kuddel: Das traf es gar nicht so schlecht. Natürlich ist und war Miozän eine Band, die gerade die deutsche Szene in den 90ern mit geprägt hat, aber diese Szene von früher ist faktisch kaum noch existent. Viele alte Leute sind nicht mehr da, Läden und Netzwerke verschwunden.
Von daher schon so Etwas wie ein Neuanfang. Gerade auch weil wir einige neue Jungs in der Band haben und auch der Sound / Stil der Band dadurch verändert oder erweitert hat. Der alte Spirit mit einem neuen und zeitgemäßen Antlitz. Cool, ich hab gerade das Wort Antlitz in einem Interview benutzt, bin nun wohl doch langsam ein weiser Mann…hahaha.
Ihr habt euch ja mittlerweile mehr als nur wieder eingespielt, euer Comeback ist ja schon etwas her. Wie kam es dazu?
Kuddel: Die Story ist recht schnell erzählt. 2014 wurde das heutige Kulturzentrum Walsrode, welches früher das alte Juze war, nach Umbau und Erweiterungsarbeiten neu eröffnet. Und da kaum, oder eigentlich keine Band mehr mit diesem Haus verbunden war, konnte meiner oder unserer Meinung nach nur eine Band diese Neueröffnung gebührend begleiten – nämlich wir. So kam es dann auch und das Konzert selbst war innerhalb von wenigen Tagen ausverkauft. Damals auch noch in der letzten „Original Besetzung“, Tom kam für die Show extra aus Großbritannien eingeflogen. Das Konzert war fantastisch und so trafen Frank und ich den Entschluss, noch einmal ein Album etc. machen zu wollen. Aus den verschiedensten persönlichen Gründen waren die anderen 3 nicht in der Lage, es noch einmal anzugehen.
Mittlerweile sind MIOZÄN aber mit Kniffel, Gerrit und Outso ja längst wieder komplett und es sind ausnahmslos Jungs aus unserer Gegend, die wir zum Teil schon Jahrzehnte kennen. Outso hatte früher eine angesagte Band (Ende 80er) mit Namen Freedom Begins und spielte dort Bass. Für Frank damals (vor Miozän) der Grund und Inspiration, sich einen Bass zuzulegen. Solche Geschichten schreibt halt nur das Leben.
Miozän – We’ll Make The Difference
Dass ihr zur Szene vor Ort eine große Verbindung habt, war unschwer zu erkennen. Euer Gig in Walsrode war eine riesen Party, mit vielen Freunden und Bekannten, die ihr lange nicht gesehen habt. Wie fühlt es sich für euch an in Walsrode zu spielen, war ja ein Heimspiel für euch.
Kuddel: Wir haben in den letzten vier Jahren dreimal in Walsrode gespielt und es war auch dreimal ausverkauft. Es ist also immer etwas Besonderes, hier zu sein. Und tatsächlich sind auch jedes Mal neue „alte“ Wegegefährt*innen dagewesen, die ich zum Teil 30 Jahre nicht mehr gesehen habe. Das freut einen natürlich, würde ja jedem so gehen.
Zudem hängt natürlich auch eine gute Portion Nostalgie mit im Raum. Wir haben früher Mitte der 90er eine echte „Hardcore Hochburg“ in Walsrode aufgebaut. Du hast ja den Laden gesehen, da haben wir Bands wie Millencolin, Ignite, Madball oder Propaghandi gehabt, vor 500 Leuten und mehr. Da war der Brandschutz irgendwie noch nicht so groß geschrieben…hahaha.
Waren fantastische Jahre in Walsrode zu der Zeit, eine riesige Szene vor Ort, Miozän Merchandise im damals größten Kaufhaus vor Ort, viele aktive Bands und Leute mit klarer antifaschistischer Kante.
Miozän Merch im Kaufhaus, das ist mal wirklich keine alltägliche Story. Warum habt ihr euch für die Supportbands entschieden, kennt ihr euch?
Kuddel: Nach Möglichkeit sehen wir natürlich zu, Bands dabei zu haben, auf die wir Bock haben. So auch dieses Mal. Coldstare hatten tatsächlich mal angefragt wegen einer gemeinsamen Show und so haben wir die Jungs kennengelernt und eingeladen. By a Storm finde ich persönlich ganz, ganz stark und auch da hat sich so eine gute Bandfreundschaft entwickelt. Oder wir supporten dadurch auch immer mal wieder gerne lokale Bands. Es gibt halt einfach Bands, wo es einfach untereinander passt und wo man sich freut, mit denen mal was machen zu können. Neben den alten Haudegen sind es dann auch neuere (und jüngere) Bands, wie Baribal, Fight against Monuments oder die schon erwähnten By a Storm.
Surrender Denied ist im Januar 2017 erschienen und wird bald zwei Jahre alt. Ihr habt ja auch zwei neue Songs gespielt, arbeitet ihr an einem neuen Album?
Kuddel: Ja, wir arbeiten an neuen Songs und daraus wird ein neues Album entstehen. Sind schon sehr, sehr gute Songs bei – wer die Surrender Denied mag, wird das neue Zeug auch lieben. Mehr Informationen dazu wird es Anfang 2019 geben.
Das ist, gelinde gesagt, wunderbar zu hören. Ich hatte auf so eine Antwort gehofft. Was ist euch lieber, Festivals oder Clubshows? Kleine, oder große Locations?
Kuddel: Kann beides toll oder auch bescheiden sein. Ich mag es, wenn das Drumherum stimmt. Gutes Essen, kalte Getränke und gutes Pennen. Und on Top nette Leute und coole andere Bands. Ob es dann die nette Bandwohnung neben der Küche des Clubs ist oder ein dickes Hotel, ist dann extrem zweitrangig. Kleinere Locations, in den im besten Fall Schweiß von der Decke tropft während der Show, weil die Hütte brennt, sind natürlich immer etwas Besonderes und einfach dichter an den Wurzeln als eine Riesenstage.
Welchen Song spielt ihr live am liebsten und warum?
Kuddel: Jeder von uns hat da seine eigenen Favoriten. Für mich persönlich ist Surrender Denied DAS Miozän Stück. Die ganze Geschichte darum kennen ja die meisten sicherlich. Gerade auch live, ist es oft so ein Gänsehautmoment. Ich bin sehr großer Insted Fan, daher ist We`ll make the difference auch so ein Lieblingssong von mir. Die Jungs von Insted hatten über unsere Coverversion auf ihrer Facebook Seite geschrieben, dass wir es „Besser spielen als sie es je gespielt hätten“ – da hatte ich nen fetten Kloß im Hals als ich es damals las, das kannste mal glauben.
Ja, die Geschichte hinter Surrender Denied verdient es eigentlich, in Buchform gebracht zu werden, wie ich finde. Wie entstehen eure Songs? Schreibt ihr alle daran mit? Wird zu Hause vorproduziert, oder entstehen alle Songs beim Jammen im Proberaum?
Kuddel: Meist werden Ideen gesammelt, um dann in Songwriting Sessions ausgearbeitet zu werden. Recht unspektakulär, außer es wird mal ein wenig Bier dazu getrunken…hahaha.
Ihr hattet vor einiger Zeit einen neuen Drummer gesucht. Ich habe dieses Jahr, in der Glocksee Hannover noch Tomek´s Abschiedsgig gesehen. Hat sich „der Neue“ mittlerweile eingelebt? Meines Wissens, kennt ihr euch ja schon lange.
Kuddel: Ja, Gerrit hat sich eingelebt. Er hat im Übrigen damals die erste Rohversion von Surrender Denied mit Frank eingespielt, so rein aushilfstechnisch auf Nachfrage. Zu dem Zeitpunkt, hatte er seine Drumsticks eigentlich längst an den Nagel gehängt und wollte nicht mehr Drummen. Dadurch hatte er wieder Blut geleckt, wieder angefangen Mucke zu machen, um dann Jahre später bei Miozän einzusteigen. Karma ist ne geile Sache…hahaha.
Da gebe ich dir Recht. Manche Dinge müssen einfach so sein, wie sie sind.
Mittlerweile gibt es einige Dokumentationsfilme über die Hardcore Szene, meist aus den USA. Hättet ihr Interesse an einer Doku über inländische Hardcore Bands, wie z.b. euch oder Rykers? Ich würds mir angucken.
Kuddel: Eine Doku über die damalige Zeit oder Szene würde ich sehr, sehr gerne schauen. Da gibt’s ja sicher auch einige Jungs, die wie Matze von Our World, der damals gefühlt jede Show quer durchs Land gefilmt hat, Tonnen an Material liegen haben müssten. Ich für meinen Teil bin sehr dankbar, diese Zeit miterlebt und mitgestaltet zu haben. Ein paar meiner besten Freunde kenne ich aus dieser Zeit und dieser Bund besteht bis heute.
Ich würde mich freuen, so einen Film sehen zu können. Ich kann mir vorstellen, da liegen in verschiedensten Kellern noch ungeahnte Bildschätze herum. Danke für das Interview. Wir sehen uns definitv wieder.
Interview von Heiko im Dezember 2018
Fotos: Sonja Leonhard Fotografie
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