„AQ-PUNK-TUR“: Sick of Society im Interview

Mit „AQ-PUNK-TUR“ ist das neue Album der Punkband Sick Of Society erschienen. Wir haben uns mit Oliver und Chris über die neuen Songs, anstehende Dinge und weitere Themen unterhalten.

Moin. Wo erwischen wir euch gerade?
Oliver: Lebend, Corona gut überstanden und irgendwo zwischen Urlaub, Konzerten und dem Release vom neuen Album „AQ-PUNK-TUR“. Freut uns jedenfalls, dass die Routine durch die Fragen von dir etwas unterbrochen wird.

Um mal direkt mit der Tür ins Haus zu fallen, von was werdet ihr denn aktuell „krank“, wenn ihr an die Gesellschaft denkt?
Chris: Puh… Da gibt es so viel, wovon man krank werden könnte. Im Endeffekt ranzt mich die ganze Dummheit, die scheinbar immer mehr oder zumindest immer lauter wird, an.
Die vergangenen zwei Jahre haben bewiesen, wie „gut“ wir als Gesellschaft funktionieren, wenn Gefahr in Verzug ist. Daheim bleiben, Maske tragen und zum Impfen gehen hat ja nur „semi-gut“ funktioniert. Da mag man gar nicht über diffusen Gefahren wie den Klimawandel nachdenken. Ach ja, Krieg, Rassismus, Sexismus und solche Sachen gibt’s ja auch noch … echt übel!
Oliver: Wenn man es genau nimmt, müsste die Frage doch eigentlich lauten „Gibt es aktuell gesellschaftsrelevante Themen, von denen man/ihr nicht krank werdet?“. Kurze Antwort: NEIN!

Mit „AQ-Punk-Tur“ ist euer neues Album erschienen. Zunächst mal, wie seid ihr denn auf diesen Albumtitel gekommen?
Chris: Oli, nicht so schüchtern… das ist deine Frage ;-)
Oliver: „Akupunktur“ hatte ich schon als möglichen Titel beim vorigen Album auf meiner Liste. Letztlich ist es damals „Perlen Vor Die Säue“ geworden. Tja, fürs neue Album habe ich den Titel dann nochmal ins Feld geführt, Falko hat die Schreibweise etwas angepasst und prompt hatten wir „AQ-PUNK-TUR“. Was die Texte angeht sind wir speziell in den letzten Jahren doch sehr gradlinig und direkt geworden. Somit darf jeder einzelne Text bzw. Song als gezielter und tiefer Nadelstich ins Wohlstandsbauchfett unserer übersättigten Gesellschaft verstanden werden. Und da es ja einige (Punk)Songs sind, ist das Album als regelrechte Akupunkturbehandlung für die Ohren und den Verstand anzusehen. Hoffentlich hilft’s …

Ihr behandelt Themen, die es absolut Wert sind – sinnlose Kriege, Ungerechtigkeit oder auch die Flüchtlingspolitik. Wie sieht es aus, wenn ihr an einem Song arbeitet? Wie entsteht er?
Chris: Dafür gibt es keine Standartformel, jeder Song entsteht anders. Mal gibt es zuerst eine Melodie oder ein Gitarrenriff, mal gibt es zuerst einen Text, manche Songs entstehen direkt aus einem Guss. Wie gesagt, das läuft jedes Mal anders ab. Meistens ist es so, dass der jeweilige Songschreiber direkt ein kleines Demo aufnimmt, das der restlichen Band zur Verfügung gestellt wird. Dann packt nochmal jeder seine Ideen rein und wenn es dann noch gut klingt, ist der Song fertig ;-)
Oliver: Beim neuen Album mussten wir wg. Corona diesbezüglich recht flexibel agieren. Proben ging aus bekannten Gründen nur sehr limitiert. Deshalb ist auf dem Album auch etliches Remote entstanden. „Refugees Welcome“ z.B. ist ein Song, der komplett nur als Demoversion bestand und wir vor der eigentlichen Aufnahme noch nie zusammen gespielt haben. So in der Art lief es leider bei vielen Songs. Trotz dieser verschärften Bedingungen sind wir mit dem Resultat mehr als zufrieden.

Wenn ihr einen Song nennen müsstet, der euch auf dem neuen Album am wichtigsten ist. Welcher wäre es und warum?
Oliver: Für mich ist das „Perfektioniert“ … der Hidden Track des Albums. Warum? Ganz einfach, weil ich den Song komplett selbst „gesungen“ habe :-).
Chris: Schwierige Frage! Welches seiner Kinder mag man am liebsten? Jeder Song hat seine eigenen Highlights, auf die man sich beim Hören freut; jeder Song seine eigene Message! Ich kann mich beim besten Willen nicht auf einen Lieblingssong festlegen.

Das Album ist beim Label 30 Kilo Fieber erschienen. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
Chris: Ich verwalte ja das Insta-Profil der Band. Eines Abends kamen beim „rumdaddeln“ ein paar Push-Nachrichten rein … „30 Kilo Fieber folgt dir jetzt“, „30 Kilo Fieber gefällt dein Foto“, usw. Wir haben uns kurz im Band-Chat kurzgeschlossen, ob das Label nicht was für uns wäre! Nachdem dort auch Lester, Minipax und viele weitere coole Bands gesingt sind, haben wir Bernd von 30 Kilo Fieber angeschrieben, ihm erklärt, dass unser Album fast fertig ist, es super gut wird und ihm mit auf den Weg gegeben, dass er dringend mit uns zusammen arbeiten muss. Jo … und so kam es dann auch :-)

Wie wichtig ist die Punkszene heute noch, eurer Meinung nach?
Chris: Kommt darauf an wie man es sieht. Für uns natürlich sehr wichtig, da Punkrock, also die Musik, ja auch unsere Leidenschaft ist. Viele der Themen die früher „typisch Punk“ waren, sind inzwischen auch in anderen Subkulturen angekommen. Gerade im Rap- und Hiphop-Bereich gibt es Künstler, wie z.B. Antilopen-Gang oder Disartsar, deren Inhalte auch von einer Punk-Band kommen könnten. Textlich meist sogar virtuoser als bei uns und von der Reichweite her sicher auch größer, deshalb muss sich diese Frage, glaube ich, jeder für sich selbst beantworten.

Was bedeutet Punk für euch?
Oliver: Schwierige Frage. Da sich die Zeiten gewandelt haben steht dieser Begriff nicht mehr für das, wofür er früher stand. Ich möchte hier nicht zu sehr in die Tiefe gehen, um zu vermeiden etwas Falsches zu sagen. Für mich persönlich ist „Punk“ mehr eine bestimmte innere Haltung als eine expressive Außendarstellung.

Seit 1989 seid ihr am Start (erst als Wicked Power, ab 1993 dann als Sick Of Society) – was hat sich in diesen Jahren verändert? Positiv? Negativ?
Oliver: Viel … sehr viel! Neben den jeweiligen persönlichen Umständen, hat sich in erster Linie die Dichte der Haarpracht verändert, es gab einige Line-Up-Wechsel, der Stil hat sich von 0815 Metal in Richtung politischem PunkRock entwickelt, die Arbeitsweise innerhalb der Band hat sich aufgrund der technischen Möglichkeiten ganz erheblich verändert, die individuellen Fähigkeiten an den Instrumenten haben sich (hoffentlich) über die Jahre verbessert, die Kommunikation mit relevanten Instanzen ist deutlich einfacher geworden, und und und. Man könnte die Liste hier noch ewig weiterführen. Der ganze technologische Fortschritt über die letzten 30 Jahre hatte, wie für alle anderen Bands auch, erheblichen Einfluss. Positiv finde ich die ganze Vernetzung und die zeitnahe Kommunikation mit anderen Bands, Veranstaltern, Dienstleistern, etc. Das war früher doch recht mühselig, auch wenn die ganze Tape-Trading-Szene schon einen gewissen Charme hatte. Nach einem Urlaub gab es meistens Berge an Briefe und Paketen aus aller Welt. War schon spannend! Auf der anderen Seite geht es mir tierisch gegen den Strich, wie schnell in Zeiten von Social Media, eine Sau durchs Dorf getrieben wird. Schuldig oder nicht … ein jeder hat Spaß dabei der Sau anonym noch eines mit der Keule über den Schädel zu ziehen … schrecklich!

Was fällt euch bei folgenden Wörtern ein?
Proberaum
Oliver: Für uns gegenwärtig ein sehr aktuelles Thema. Nach fast 20 Jahren müssen wir demnächst aus unserem Proberaum im JuHa Vöhringen raus, da das komplette Gebäude einer prestigeträchtigen Gentrifizierungsaktion zum Opfer fallen wird. Zum Glück sieht es so aus, als ob die Stadt ein Herz für Subkultur hat und man sich um Ersatz für uns bemüht. Stell die Frage einfach nochmals beim nächsten Album. Dann wissen wir sicher mehr, wie es um die Beschaffenheit des Herzens
unserer Stadtobrigkeit bestellt ist.

Live
Oliver: In der Post-Corona-Phase haben wir wieder Blut geleckt. Zu Corona-Zeiten haben wir 2 Shows gespielt … diese haben sich durch die Bank seltsam angefühlt. Dieses Gefühl hat sich bei mir aktuell wieder verflüchtigt. Zum Glück! Wer Interesse an einer SOS-Show hat, einfach melden … wir sehen zwar aus, als ob wir jedem Veranstalter die Haare vom Kopf fressen, sind aber in Wahrheit extrem pflegeleicht.

30 Jahre Sick of Society (2023)
Oliver: Aus den „AQ-PUNK-TUR“ Sessions sind noch Songs übrig. Mal sehen, wie wir diese zum 30-jährigen Jubiläum unters Volk bringen. Große Aktionen oder Feierlichkeiten sind nicht geplant … zumindest noch nicht. Für mich als Gründungsmitglied trotzdem ein irgendwie surreales Gefühl den ganzen Kram noch immer machen zu dürfen. Einer unserer damaligen Gitarristen hat sich mit Mitte 20 schon in den 90’ern zu alt für die Band gefühlt und ist deshalb ausgestiegen. Mal sehen, wann sich dieses Gefühl bei mir einstellt …

40 Jahre Sick of Society (inklusive Wicked Power; 2029) ;-)
Oliver: Sag niemals nie … momentan für mich überhaupt nicht greifbar, aber mit dem Line-Up kann ich mir 40 Jahre gut vorstellen. Die Themen für weitere Platten werden von der Weltgeschichte aktuell ja frei Haus und in unverschämten Maßen geliefert. Ich lass mich einfach überraschen …

Tough Magazine
Oliver: Instanzen wie das Tough Magazine sind unschätzbar wertvoll für die subkulturelle Musikszene … drück Euch die Daumen, dass ihr nie die Lust an dem verliert, was ihr macht!

Vielen Dank für die Zeit, die letzten Worte gehören euch!
Oliver: Danke für Dein Interesse an Sick of Society und das sehr wohlwollende Review zu „AQ-PUNK-TUR“.

Interview von Florian P. im Juni 2022

Dieser Artikel wurde am: 17. Juni 2022 veröffentlicht.

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