Wie die Zeit rast?
Ich erinnere mich noch, als ich die ersten Joint Venture Platten empfohlen bekommen hatte und wir, bei kühlen Getränken an Sommerabenden, Songs wie „Zarte Artischocke“, „Holland“, „Das zwischen den Beinen“, „Zach Herr Chef“ „… und tschüss“, und, und, und laut mitgesungen hatten.
Götz Widmann holt diese Erinnerung zurück.
Mit seiner „30 Jahre Joint Venture – Tour“ nimmt er uns mit in diese Zeit, in der oben erwähnten Songs für ein fettes Grinsen sorgten. Diese Zeit erzählt jedenfalls Geschichten von „Geschenktem Gras“ „Wunderschlampen“, „Okkultismus“ und „Landkommunenhippies“, die neben „Fliegen“ und „Eseln“ ebenso wichtig waren wie über „Politiker beim Ficken“ zu schmunzeln oder über „Hank“ zu trauern.
Für uns ein Grund, bei Götz Widmann vorbeizuschauen und sowohl über die „30 Jahre Tour“ als auch über das ReRelease der Joint Venture-Vinyls zu sprechen.
Diese gibt es exklusiv bei www.goetzwidmann.de zu bestellen.
- Hey Götz, schön dass wir uns treffen. Zwischen „30 Jahre Joint Venture“ und der fertiggestellten Aufnahme zur BLÜTENDUFT. Wie geht es dir gerade?
Ich bin ein kleines bisschen erschöpft, aber sehr glücklich. Ich war mit wirklich tollen Musikern, die ich mit ganz viel Liebe ausgewählt habe, einen Monat auf La Palma, der westlichsten und meiner Meinung nach schönsten Kanareninsel. Auf einem herrlichen Gelände von einem Freund, ein bisschen in den Bergen, mit 270 Grad Panorama-Meerblick. Der Aufnahmeraum war in einem uralten Steinhaus. Das hat so einen wahnsinnig warmen Sound und eine ganz besondere Aura, wo sogar ich alter Atheist irgendwie spirituell draufkomme, aber ganz positiv. Ich wollte dort schon immer mal ein Album aufnehmen, seit 1997, als ich zum ersten Mal dort war. Und jetzt haben wir das endlich mal wahr gemacht. Wir waren einen Monat zusammen und ich hatte ganz viele Funktionen auf einmal, nicht nur Sänger und Songwriter, sondern auch halber Aufnahmeleiter, Reiseorganisator, Inselführer, Getränkelieferant und Koch. Außerdem natürlich Fahrer und das Hippieklo hab ich auch sauber gemacht, als es voll war (lacht). Es war sensationell, Kraft gekostet hat es natürlich schon, ich könnte etwas Urlaub gebrauchen (lacht) aber muss direkt weitergehen.
- Was war denn dein Lieblings-Job unter diesen vielfältigen Aufgaben? Sicher nicht das Klo sauber machen!?
Ich bin eigentlich am liebsten Koch. Wenn ich weiß, ich koche jetzt, weiß ich automatisch auch dass die Produktion läuft. Denn dann werde ich gerade nicht für was anderes gebraucht. Ich liebe aber auch das Gefühl wenn die Leute glücklich strahlen weil ihnen schmeckt was ich gekocht habe. Ich bin ja nun doch meistens als Einzelkämpfer unterwegs, aber wenn ich dann mal ein bisschen Mama für ein Team spielen kann macht mich das immer ziemlich froh.
- Wir führen das Interview in zwei Teilen und möchten uns im ersten Teil mit der „30 Jahre Tour“ und dem Release der Joint Venture LPs beschäftigen. „… und tschüss“ hieß ja ein Song auf der „Unanständigen Lieder“, die jetzt wieder erhältlich ist. „… und tschüss“ passt aber auch zurTour mit den alten Songs, die sich gerade dem Ende zuneigt. Was ist dein Fazit zu diesem langen Abschnitt?
Das war eine ganz wunderbare Tour, ein ganz tiefes Bad in der Vergangenheit. Es waren ja nicht nur die alten Songs sondern auch jede Menge Geschichten, die ich den Leuten erzählt habe. Ich habe um das ein bisschen festzuhalten diese Geschichten jetzt aber auch mal abseits der Bühne gesammelt und aufgenommen, demnächst erscheint auch ein Hörbuch über die Zeit mit Joint Venture, wir sind schon fast fertig. Wir haben so viel unveröffentlichtes Material im Archiv gefunden, nächtelang alte Bänder abgehört und Videokassetten durchgeschaut, da waren echte Schätze dabei, das Hörbuch ist voll von bisher unveröffentlichten Originalaufnahmen, Musik, Interviews und Kuriositäten. Anke Pahlenberg, die Produzentin des Hörbuchs, hat diese Geschichten gesammelt, mich aufgenommen und das ganze Material in liebevoller Detailarbeit zusammengeschnitten. So ist ein richtig schönes Hörbuch entstanden, das dieses Jahr noch rauskommt. Ich denke, es werden ziemlichviele Leute ihre Freude daran haben. Zuerst habe ich gedacht, ich weiß gar nichts mehr, ich war ja ständig breit in der Zeit (lacht), aber am Ende hab ich dann doch eine Woche lang fast durchgeredet, die arme Anke musste das dann so zusammenschneiden, dass es nen Sinn ergibt. Am Ende sind 12 Stunden Hörbuch dabei rausgekommen, hätte ich nie gedacht.
- Sicher hast du beim Erzählen auch viel über die alten Songs gesprochen. Gibt es Songs, die du für dich neu entdeckt hast?
Ich hab sogar einen Song fürs neue Album dabei entdeckt, den ich total vergessen hatte. Ich hab bei der Jubiläumstour immer die Geschichte erzählt, wie ich an einem schlimmen Katermorgen den Text von „Süffelmann“ beim Aufwachen auf meinem Schreibtisch gefunden habe und wusste gar nichts mehr davon. Zu der Zeit war es noch gar nicht so üblich für mich, Songtexte zu schreiben. Der Song ist einfach so passiert. Da lag auf einmal ein zerknittertes Blatt Papier mit dem Text. Eigentlich wollte ich dieses Papier nochmal raussuchen und für die Sozialen Netzwerke fotografieren. Und als ich es in meinen alten Stapeln danach gesucht habe, habe ich auf einmal noch einen anderen Text gefunden (lacht), von dem ich absolut keine Ahnung mehr hatte. Und als ich den gelesen habe, musste ich so lachen, dass ich ihn direkt fürs neue Album übernommen habe (lacht). Der Song heißt „Party Time“ und ist ein ziemlich pubertäres Sauflied. Letzte Woche in Jena hatte der Premiere.
- Die Tour war ja eine Zeitreise. Viele der Nummern wurden laut vom Publikum gefeiert. Bei manchen sicher auch ein Tränchen gedrückt. Was empfindest du, wenn du von der Bühne blickst und die Leute siehst, die mit leuchtenden Augen die alten Sachen Wort für Wort mitsingen?
Natürlich geniesse ich das, wäre ja bitter wenn nicht. Gerade bei den alten Nummern ist das auch echt krass, wie textfest die Leute sind, oft textfester als ich (lacht). Manchmal habe ich schon das Gefühl, das Joint Venture heute viel bekannter sind als zu der Zeit, in der wir aktiv waren. Die alten Sachen wurden irgendwie immer weiter getragen und jetzt verbinden die Menschen damit jede Menge persönliche Erinnerungen und Gefühle, wie das halt so ist bei Songs, die man schon ewig kennt. Auch bei Spotify sieht man, dass die alten Platten noch sehr gerne gehört werden. Das ist natürlich sehr schön, die ehrlchste Wertschätzung, die man als Musiker erfahren kann.
- Manche der Songs von damals wurden fortgesetzt (Fliege I bis III oder auch „Tag des Herren“). Auch auf einer der aktuelleren Platten hast du die „Wie ich eine Frau war“-Nummer mit einer Fortsetzung versehen. Welchem Joint Venture Lied würdest du nach so langer Zeit eine (böse) Fortsetzung zutrauen?
Vorstellen kann ich mir im Grunde alles. Früher haben wir uns gegenseitig permanent zu solchen Albernheiten animiert. Solo hab ich das nicht mehr so oft gemacht, aber natürlich gibt es Themen, die man auch mehrfach aufgreift, das müssen ja nicht unbedingt dann Mehrteiler werden wie die Fliege. Aber wenn es mal wieder passiert passiert es halt, ich plane sowas nicht, es kommt dann einfach.
Wir waren beim Wort „Zeit“. Viele der Geschichten in deinen Songs sind zeitlos. Siehst du persönlich Songs von dir, die zu sehr in die Jahre gekommen sind? Vielleicht nicht mehr spielbar?
Ja zum Glück sind die mehr oder weniger zeitlos. So wollen die Leute diese Stücke auch immer noch hören. Ich hatte ein bisschen Angst wegen der Cannabislegalisierung, dass meine Songs vielleicht nicht mehr so gebraucht werden weil sie ja ihren Zweck erfüllt haben (lacht). Es ist aber zum Glück nicht so gekommen. Die haben jetzt nicht ihre Bedeutung verloren, die hat sich eher verändert. Das sind jetzt keine Protestlieder mehr gegen ein besonders dummes und ungerechtes Gesetz sondern demokratieverherrlichende Hymnen (lacht), weil sie der lebende Beweis dafür sind dass man in einer Demokratie Realitäten verändern kann, wenn es einem gelingt Mehrheiten zu verändern. Das neue Gesetz ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, man kann das aber noch deutlich besser machen. Ich würde wirklich gerne Cannabis im Fachgeschäft kaufen und darauf auch mit Freuden Steuern zahlen. Steuern, die man dann zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen könnte, für Bildung zum Beispiel, könnten wir gut gebrauchen. Das hat leider noch nicht geklappt.
- Gerade wenn du auf Nummern wie „Esel“, „Haschisch rauchen macht harmlos“, „Geschenktes Gras“, „Trinkende Philosoph“, „Jammerballade“, … blickst. Was würde der heutige Götz, dem 30 Jahre jüngeren Götz beim Schreiben gerne mitgeben?
Mach weiter so (lacht).
- Eine der Joint Venture Platten ist die „Unanständige Lieder“. Ein wahnsinniger Livemitschnitt aus der damaligen Zeit. Dürfen wir uns auf eine „Unanständige Lieder 2“ bzw. „UnanständigeRE Lieder“ freuen? Sicher hast du auf der Tour das ein oder andere Konzert mitgeschnitten!?
Ich schneide gerade jedes Konzert mit. Ich möchte irgendwann eine Seite ins Netz stellen mit ganz viel exklusivem Material. Für eine kleine Gebühr von vielleicht 20 Euro im Jahr, also dem Preis von einem Album können die Leute dann das Konzert auf dem sie waren nochmal hören und alle anderen auch. Und alle meine Alben und sich durch mein komplettes Filmarchiv kucken und noch alles mögliche mehr. Ich denke in sowas liegt möglichweise die Zukunft wie Musiker mit ihrem Publikum in eine ganz persönliche Verbindung treten können, ich möchte zumindest unbedingt mal ausprobieren, ob das jemanden interessiert. Das Live-Erlebnis wird nie zu ersetzen sein und das ist auch verdammt gut so, aber wir Musiker müssen uns mal was Neues einfallen lassen, was ein bisschen emotional wertvoller ist als soziale Netzwerke und Spotify.
- Du hast vor einiger Zeit bei Startnext eine Kampagne gestartet, um die alten Joint Venture Platten auf den Markt zu bringen. Warst du überrascht vom Erfolg des Projekts?
Am Ende hat mich das richtig überwältigt, wie gut das gelaufen ist. Wie viele Platten da wirklich weggegangen sind, das hätte ich nicht gedacht. Die Auflage zu machen war tatsächlich unglaublich teuer, es waren immerhin fünf Platten auf einmal. Das spürt man schon im Geldbeutel. Ein bisschen Schiss hatte ich am Anfang schon (lacht). Aber das war ganz offensichtlich Quatsch.
- Die Platten sind schon ziemlich weg. Bestellen kann man sie nur bei Dir auf goetzwidmann.de
Tatsächlich gibt es die Joint Venture Platten nur bei mir. Auf meiner Seite oder auf Tour.
- Bestimmt hast du beim Materialsichten zu den Platten aber auch zur Tour viele Erinnerungen an Kleinti nochmals für dich eingeordnet. Was denkst du würde Kleinti dir sagen, wenn er dich heute auf der Bühne sehen würde. Gerade mit den alten Nummern?
Es wäre schön, wenn du er die Bühne hüpfen und mitsingen würde. Ich vermisse ihn schon sehr, gerade noch mehr als sonst. Natürlich habe ich mich mit dem Gedanken abgefunden, dass er nicht mehr da ist. Ich hatte jetzt ja auch 25 Jahre Zeit, mich daran zu gewöhnen. Er fehlt mir aber bei so vielen Aspekten. Ich denke, wir wären immer noch zusammen unterwegs. Keiner von uns hatte jemals im Leben etwas Besseres gemacht als das, was wir damals zusammen gemacht haben. Auch wenn wir uns oft gezofft haben, wir waren wie ein altes Ehepaar manchmal.
- Sicher gibt es aus der damaligen Zeit noch einige Ideen oder Notizen oder Demos. Greifst du manchmal darauf zurück?
Ich kucke da immer mal wieder rein, auch wenn ich denke dass ich die wirklichen Schätze schon gehoben habe. Aber da täuscht man sich immer wieder. Ich hätte dir vor dem neuen Album geschworen dass da nichts tolles mehr ist, bis ich dann auf einmal den Text zu Party Time gefunden habe, der da fast 30 Jahre geschlummert hat (lacht).
- Wo wir schon gerade beim Entstehen von neuen Songs sind. Gehen wir doch ein wenig in der Zeit nach vorne. Nicht nur der Sommer steht vor der Tür. Er bringt auch einiges an Blütenduft mit. Der Name des Albums und der Tour. Gib uns mal einen kleinen Einblick was da auf uns zukommt und welche drei Begriffe, im zweiten Interviewteil, denn unbedingt erwähnt werden müssen?
Blütenduft wird meiner Meinung nach ein ganz wunderbares Album. Es ist musikalisch das Beste, was ich bisher gemacht habe. Mit ganz viel Hingabe und ganz vielen fantastischen Menschen. Wir haben einen Monat nur am Album gearbeitet, ganz in Ruhe an einem phantastischen Ort. Jeder hat dem Team unglaublich gutgetan. Es war ein Experiment, denn die Musiker kannten sich vorher noch gar nicht. Ein Abenteuer. Ich bin mit meinem Auto mit unfassbar viel Equipment durch ganz Frankreich und Spanien gefahren. Wir wären zweimal beinahe ausgeraubt worden, zum Glück haben wir den Braten gerochen bevor es zu spät war, kurfz vor Barcelona haben uns zweimal Autos überholt, uns Zeichen gemacht dass wir ne Panne haben und versucht uns von der Autobahn zu locken. Dumm war nur dass der eine sagte der Reifen qualmt und der andere unsere Achse eiert. Dann haben wir das gegoogelt und das Netz war voll von Berichten über Überfälle genau an der Stelle. Als wir jetzt zurückgefahren sind gab es sogar schon Warnhinweise auf den Leuchttafeln. Schon da hätte eine Menge schiefgehen können – ist es aber nicht. Da hatten wir echt Glück gehabt (lacht). IAuf La Palma hatten wir dann einen Monat in absoluter Harmonie das Album aufgenommen. Das war so unglaublich friedlich, wir sind ganz schnell zusammengewachsen, so ein tolles Teamwork habe ich noch nie erlebt. Und dann der wahnsinnige Ort mit den ganzen großartigen Eindrücken. In welchem Studio der Welt hat man sonst noch so einen geilen Sonnenuntergang über dem Meer im Abhörraum. Überhaupt, alles ausser unmittelbaren Aufnahme war outdoor, an der frischen Luft. Das hört man der Platte auch an meine ich. Die Tour soll sehr spontan werden, ich möchte vor alle Wünsche erfüllen, so ein bisschen „Das Schönste von Joint Venture bis heute“, und das Publikum enscheidet Abend für Abend, was es gibt. Paar ganz neue gibt es natürlich auch, die wünsche ich mir dann…
- Und welche drei Begriffe müssen wir im zweiten Teil unbedingt erwähnen?
Ui, das ist schwer. Na, dann nehmen wir: „Rausch“, „Atheismus“ beziehungsweise „Spiritualität“ und „Landleben“.
Das ging schnell.
Mit einem leckeren Kaffee über viele Anekdoten gelacht.
Es hat Spaß gemacht.
Gerade, wenn man sich bewusst wird, hier mit einem Menschen über ein Liedermachergenre gesprochen zu haben, dass er mitgeprägt, vielleicht sogar über all die Jahre am Leben gehalten hat.
Unter anderem mit den fünf Joint Venture Platten, von denen es noch welche zu ergattern gibt. Und zwar genau hier: https://ahuga-store.ch/shop/.
Ein großer Tipp für viele große Momente, in denen die Zeit ein wenig stehen bleibt.
Danke an Götz fürs Erste.
Wir machen bald weiter mit den Begriffen, die Götz oben als Cliffhanger erwähnt hat. Wir haben aber auch noch Fragen zum BLÜTENDUFT Album und zu der Tour, die ja irgendwie als Abschiedstour angekündigt wird… Nun, wir werden sehen….
Seid gespannt.
Photo Credit: Anke Pahlenberg.
Interview von Thorsten.
0 Kommentare