Februar 2021: Rosenmontagsnotizen eines musikverliebten Serienmörders

Helau, Leute: Heute ist Rosenmontag. In vielen Landkreisen bedeutet das: Heute ist Montag. Ich komme aber aus dem Rheinland, da steht der Tag für entfesselte Gaudi mit Kostümen, Kamellen und schunkelfreudiger Mundartmusik, because it’s Karneval. Oder Fasching, meinetwegen.

Für Kinder ist das super, für Erwachsene fast noch besser, weil man dann in allem Kind sein kann aber zusätzlich noch Alkohol obendrauf kippen darf.

Nur für einen etwas desorientierten Teenager mit Hang zur Selbstskepsis, der gerade quer durch seine Identitätsfindungsphase stolpert, können die Karnevalstage eine echte Herausforderung darstellen.

Die absolut mieseste Party aller Zeiten schmiss ich mit 17 am Rosenmontag, und ich weiß genau, wovon ich rede, denn ich schmiss schon so einige miese Parties in meinem Leben.

Die Rosenmontagsparty stellte alle anderen in den Schatten, denn sie hatte ausschließlich Fehler.

  1. Sie war ironisch angedacht, sozusagen als punkiger Antikommentar zum bürgerlichen Karneval.
  2. Sie fand in meinem Zimmer statt, und zwar, während 3. meine Eltern mit ihren Freunden im Resthaus feierten, denn schließlich war. 4. Rosenmontag.

Wir waren höchstens acht oder neun Leute, denn alle anderen Freunde hatten abgesagt, um richtig Karneval zu feiern, und wir saßen stumm und gelangweilt wie Hühner auf der Stange auf meinem Bettkasten in meinem Kinderzimmer bei lauwarmen Dosenbier, während in allen anderen Stockwerken unseres Hauses laut hörbar die anscheinenend beste Fete des Jahres gefeiert wurde. Die Gesichter meiner Freunde wurden mit jedem weiteren UK Subs- und Dead Kennedys-Lied länger, das ich an jedem Interesse kilometerweit vorbeispielte, und erst nach anderthalb Stunden nahm sich André, der mutigste von allen, ein Herz und frug, ob ich nicht auch  Musik hätte, die etwas mehr dem Feieranlass entspräche.

„Klar, klar…“ beteuerte ich hastig und legte „Kristallnaach“ von BAP auf, denn immerhin war das Mundart, aber mit Inhalt. Davon bekam allerdings keiner was mit, denn inzwischen rauschte die Umzugsparade lautstark vor meinem Zimmerfenster vorbei, Bonbonsalven prallten wie Hagelkörner am Fensterglas ab, Marschmusik und Trommelgruppen okkupierten alle Schallwege und das euphorische Gejubel der Zuschauer ließ die Mauern erbeben. Irgendwann stand zaghaft der erste Freund auf, erklärte, er müsse jetzt heim, Hausaufgaben machen und verschwand. Dann folgte der zweite, der nur aufs Klo wollte aber auch nie wieder kam. Danach war es nicht mehr aufzuhalten, einer nach dem anderen entflüchtete mit fadenscheinigen Begründungen dem Raum der Trostlosigkeit, bis zuletzt nur noch mein engster Punkverbündeter Dominik bei mir saß. Er rang noch kurz mit sich, sprang dann aber auf und zeigte mir zum Abschied nur noch kurz einen Vogel, bevor er die Tür hinter sich zuschlug. Ich blieb allein zurück und die Abstürzenden Brieftauben sangen gerade, dass das Grauen in meiner Stadt wohnt.

Mit Freundschaften scheint es so zu sein, dass sich die Kreise mit der Entwicklung der Lebensumstände ebenfalls verändern, um sich den jeweiligen Situationen adäquat anzupassen. Es heißt immer, in Kindheit entstehen Freundschaften lediglich als Zweckgemeinschaften und erst später entwickeln sie sich über gemeinsame Interessen. Kann sein, aber wer behauptet, er habe seine besten Freunde über die gemeinsame Begeisterung fürs Walken gefunden, der lügt, denn Walken hat rein faktisch nichts an sich, für das man sich begeistern könnte. Egal.

Da meine Lebensumstände in kaum einem Bereich meinem Alter angemessen sind, hat sich im Laufe der Zeit mein Freundeskreis nicht verändert, sondern bloß drastisch verkleinert, was zwar einerseits schade ist, mir andererseits aber endlich den Raum gibt, genügend Zeit mit den imaginären Freunden zu verbringen, für die mir in jungen Jahren aufgrund realer sozialer Verpflichtungen  immer die Muße fehlte.

Sie sind nämlich sehr cool, die imaginären Freunde, und das Beste an ihnen ist, dass sie alle meinen Musikgeschmack hundertprozentig teilen. Außer vielleicht Edwin, aber der fällt sowieso ein bisschen aus dem Rahmen, denn er überlegt seit einiger Zeit bereits, sein Leben zu ändern und eine Familie zu gründen. Wir anderen versuchen selbstverständlich, ihn davor zu bewahren, drücken ihm zur Ablenkung ein Glas Grauburgunderschorle in die Finger, drehen das Debütalbum von „Schließmuskel“ laut auf, und pogen ihn von allen Seiten an. Edwins Aufgabe ist dabei dann, das Weinglas nicht fallen zu lassen und darüber vergisst er dann vorerst immer seine Familienplanungsgedanken und das ist schon alles ein riesiger Spaß.

Aber natürlich geht es bei uns auch häufig ernster zu: Nach einer solchen Pogorunde setzen wir uns zum Beispiel meistens im konspirativen Kreis im Schneidersitz auf mein Futon und diskutieren unsere imaginären beruflichen Vorstellungen für die Zukunft. Es gibt da vorwiegend zwei Ideen. Die eine ist Karnevalsmusiker im Ruhestand, weil man dann ziemlich viele Kamellen gesammelt haben müsste und vor allem keine Karnevalsmusik mehr spielen müsste. Die andere –  und von uns präferierte –  ist Serienmörder in Frührente, bzw. Ganzfrührente, denn keiner von uns will Leute killen. Aber diese Leidenschaft, Planungsgenauigkeit, Detailversessenheit und das ganze obsessive Observieren drumherum begeistert uns total. Die sonstigen Lebensumstände scheinen für Serienkiller zudem oft ebenfalls sehr günstig, jedenfalls so, wie es unsere Recherchen auf Netflix ergeben haben. Geldsorgen haben sie anscheinend alle nicht, immerhin geben sie ständig eine Menge Geld in Baumärkten aus, und das würden wir ja noch zusätzlich sparen, weil wir das ganze Zeug gar nicht benötigten.

Auch Zeit könnten wir sparen, denn wo es kein Opfer gibt, gibt’s auch nichts zu planen oder zu observieren. Folglich hätten wir megamäßig Zeit und Geld überschüssig und könnten es ständig partymäßig krachen lassen. An diesem Punkt der Unterhaltung bekommen wir uns dann allerdings oft in die Wolle, denn es gibt ja bekanntermaßen exakt zwei Versionen von Serienmördern: Die sauberen, appetitlichen, souveränen Typen wie Dexter und Patrick Bateman und die eher unappetitlichen Redneck-Ausgaben wie Leatherface und die Wrong Turn-Familie, und zwar sind wir uns darüber einig, dass wir lifestyle- wie hygienemäßig ausschließlich wie die Erstgenannten agieren wollten, aber ein großes Problem stellt deren Musikgeschmack dar.

Bateman beispielsweise hört fast ausschließlich die poppigsten Lieder Phil Collins oder Wham, Dexter gar nur Polizeifunk, für besonders guten Geschmack spricht beides nicht. Bei den Rednecks hingegen regiert das Banjo und alle tanzen freudig zu Cajun, Country und Bluegrass, also ganz klar ein Punkt für die Hinterwäldler und gegen die Hochglanzpfeifen. Eine Patt-Situation. Mit heißen Köpfen diskutieren wir drum im folgenden wild aufeinander ein, etwas unkoordiniert und mitunter auch wüst unsachlich, denn wir haben ja auch alle inzwischen ordentlich Grauburgunderschorle in der Blutbahn, bis dann irgendwann Carl-Benjamin aufsteht und alle mit einer Handbewegung zum Schweigen bringt, weil nur er das vermag, denn er ist so eine Art Klassensprecher für uns und wir nennen ihn daher oft Campi, manchmal auch Bono, je nachdem, ob’s schlau oder doof ist, was er dann im folgenden sagt. Heute sagt er, dass wir einfach die besten Elemente beider Welten mixen, das perfekte Zusammenspiel genießen und ansonsten die Klappe halten sollen, schließlich sei alles eh imaginär. Sollte uns das als Erklärung nicht ausreichen, gäb’s halt wieder Schorlenpogo mit „Schließmuskel“.

Beeindruckt nicken wir eine ganze Weile stumm, dann fragt André, der mutigste von uns, ob man nicht eventuell auch heute zum Pogo mal ausnahmsweise Karnevalsmusik auflegen dürfe, wegen Rosenmontag und überhaupt, doch Dominik zeigt ihm den Vogel und plötzlich haben alle den Raum verlassen und ich sitze allein auf dem Futon und die Bläck Fööss singen davon, dass echte Freunde zusammenstehen. Alaaf.


Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of LiedermachingDie Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.

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Dieser Artikel wurde am: 15. Februar 2021 veröffentlicht.

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