Wahrscheinlich scheiden sich die Geister und kloppen auf Facebook aufeinander ein, stellt man die Frage in den Raum, ob dieses Jahr nun rasant oder schneckig vorüberzog. Ich bin mir ja selbst uneins. Tatsache ist aber, ganz bald ist wieder Weihnachten und die Jahresrückblicke werden wie Kochsendungen aus dem Mediensumpf tentakeln.
Ich mag Weihnachten. Sowas darf man auch als punkaffiner Agnostiker sagen, jedenfalls, sobald man in die gesetzliche Volljährigkeit gerutscht ist.
Vorher ist das problematisch, denn Weihnachten hat ja auch was mit Familie zu tun, Familie ist aber in Teenagerjahren generell schon skeptisch zu beäugen, sonst gibt’s Zores mit den anderen Teenagern. Besonders in der Weihnachtszeit sind die familiären Wohlfühlfallen allerorts versteckt, die Lichter leuchten sanfter, der Abendhimmel dunkelt freundlicher, Ferienfriede legt sich auf die gehetzte Seele und überall klebt dieser verdammte Zimt dran. Man freut sich zu schenken und beschenkt zu werden, diese Vorfreude stimmt jedes Urteilsvermögen nachsichtiger, und überhaupt: Wo ein wonneproppiges Baby als Maskottchen glitzert, weicht auch das bitterste Herz der düstersten Nick Cavinistin und ein kieksendes „Süüüß!“ wird ihre schwarz geschminkten Lippen verlassen. Teenagermänner machen aus Unsicher- wie Blödheit sowieso immer nur die überlegenen Teenagerdamen nach, darum nicken sie zustimmend und seufzen wie Henry Rollins, um zerbrechlichen Tiefsinn mit Muskeln vorzutäuschen.
Das Weihnachtsfest selbst ist dann eine ganz andere Sache, denn erstens beginnt die Stimmung der letzten Wochen langsam auch bereits wieder zu nerven, zweitens hockt man nun wirklich für Stunden zusammen mit seiner Familie zwischen Krippe, Baum und Festmahltisch eingeklemmt und bemerkt drittens relativ schnell, dass Vorfreude deshalb die schönste Freude ist, weil sie stets theoretisch bleibt und darum niemals durch die Unperfektion einer praktischen Ausführung getrübt werden kann. Der Baum brennt, der Sektkorken zerschießt den Christbaumengel, die Bautzener Goldrand-Sauciere bleibt am Windspiel hängen, statt James Last liegt Rammstein im CD-Player oder die Spotify-Xmas-Playlist unterbricht jeden Song fünfmal für Laxoberaltropfenwerbespots. Der Wille nach Weihnacht hat, wie jedes Jahr, einen allgemeinen Druck aufgebaut, der in Grobmotorik mündet und sich in Tränen und Zorn entlädt, der Emokater hernach ist zäh, aber dann kommt bald Silvester, ab da kann man sich wieder vornehmen, im nächsten Jahr alles besser zu machen, damit es endlich perfekt und rund läuft, zum Beispiel Weihnachten.
Vielleicht stimmt das alles aber auch gar nicht, und ich bin bloß mal wieder zu pathetisch. Pathos ist durchaus mein Ding, allerdings so ein Stichwortgeberpathos, denn nie wollte ich der Held sein, die Nummer eins, die alle rettet und nachher mit Orden überhäuft wird, nein, meine Sympathie galt immer dem besten Kumpel des Helden, dem, der tapfer ist, aber eben nicht total unabdingbar für die große Sache. Egal jetzt, für welche Sache. Welt retten, Böses killen, Prinzessin trösten, sowas halt. Ich wollte lieber der Kumpel sein, der mit Rat, Tat und guten Sprüchen an des Helden Seite bleibt, loyal, gerne auch ein bisschen dumm, und der dann kurz vorm Finale irgendwie verwundet wird, heldenhaft genug, um cool zu sein, aber nicht so schlimm, dass er bleibende Schäden davonträgt.
In die Schulter geschossen von imperialen Truppen oder angesaugt von Dracula. Nicht gleich Vampirsklave oder Hand ab durch Papa, in Karbonit eingefroren okay, aber höchstens für ne Woche. Ich wollte immer Colt Seavers Howie sein.
Darum war mir Jesus auch nie besonders sympathisch, denn ich empfand ihn als ganz schön wichtigtuerisch in seiner Selbstlosigkeit. So wie ich die Sache sah, gönnte er keinem seiner Jünger eine größere Eigenständigkeit, das waren alles nur charakterlose Nasen in farblosen Tüchern. Der einzige, dem er etwas mehr Kontur gab, war dann auch folgerichtig gleich der Superarsch, den Kerle wie die 187 Straßengang sofort als 31er Hund gebrandmarkt und umgeboxt hätten, wenn er sich nicht längst selbst in Schande abgehängt hätte und sie nicht eh schon genug mit dem Beef gegen Fler zu tun hätten. Ich fand schon immer, als Gottes Sohn hätte Jesus‘ Ego durchaus wenigstens einen guten Kerl wie Howie, Klößchen, Ringo oder C3PO an seiner Seite verkraften können, allein schon aus Entertainmentgründen.
Aber zu Weihnachten ist er noch sweet und innocent und drängt sich auch nicht besonders in den Vordergrund. Erst zur Osterzeit geht er so selbstherrlich passiv aggressiv ab, ungefähr so, wie beispielsweise Mia Farrow in dem Film „Ehemänner und Ehefrauen“, in dem Sydney Pollack ihr vorwirft, sie verhalte sich passiv aggressiv, was ich durchaus als Hinweis darauf deute, dass sie sich in dem Film ungefähr so wie Jesus zu Ostern aufführt. Der nimmt nämlich alle Leiden der Welt auf sich und lässt sich von den bösen imperialen Truppen heldenhaft verwunden. „Na ja, >verwunden< könnte man als Synonym für eine Kreuzigung eventuell als gelinde Untertreibung bezeichnen.“ gibt nun mein Freund Michael zu bedenken, der an dieser Stelle nur auftaucht, weil er den Namen eines Erzengels trägt und irgendwer mich schließlich aus meinem selbstgebauten Logikwrack retten muss, bevor es komplett absinkt. Und wer wäre dafür besser geeignet, als ein herbeigezauberter Heldenkumpelheld? So macht man das nämlich, Jesus! Doch zurück zu Michael: Er weiß genau, dass Worte mich nur wilder machen würden, darum zaubert er gleich noch einen Samowar und zwei Tassen aus dem Mantel, und das ist klug, denn wenn ich Getränke ahne, vergesse ich sofort, was ich eigentlich sagen wollte.
„Was ist denn da drin?“ frage ich stattdessen.
„Wunschpunsch!“ antwortet Michael und gießt uns beiden ein. Wir prosten, pusten und nippen daran. Ich schließe die Augen und wünsche mir Verkaufzahlen meines Albums, die ACDC vor Neid erblassen lassen würden. Anschließend check‘ ich mein Konto und glaube kaum, dass die daraufliegende Summe bei ACDC irgendeine Gesichtsneufärbung verursachen würde.
„Hey!“ sag‘ ich vorwurfsvoll, „der Wunschpunsch hat ja nicht besonders viel auf dem Kasten!“
„Ist ja auch nur Wunschpunsch light.“ antwortet Michael, zuckt mit den Achseln und verpufft sidekickmäßig heldenhaft samt Samowar.
Ich bleibe zurück und trinke die Tasse aus. Immerhin ist das Zeug alkoholhaltig, stelle ich fest, denn mir ist ganz warm und weich zumute. Das ist ja zumindest ein Anfang. Und vor allem ohne diesen verdammten Zimt. Nachsichtig blicke ich auf die Welt und die Wirren. Mir ist nach Vergebung zumute. Zum Beispiel mir, für meine Kolumne. Ich vergebe mir. Ein gutes Gefühl. Aber auch Jesus vergebe ich seinen Egofilm. Schließlich ist bald Weihnachten. Die Ostertage sind noch ungelegte Eier. Da werden die Karten neu gemischt. Jetzt wünsch‘ ich erstmal allen frohes Fest. Welches, könnt‘ Ihr Euch selber aussuchen, okay? Prösterchen.
Info: Totte Kühn ist Musiker und Autor. Er ist Mitglied in den Bands Monsters of Liedermaching, Die Intelligenzia und Muschikoffer, spielt aber auch solo. Aus Gründen großer Freizeitvorkommen schreibt er auch Kurzgeschichten. Sein neuestes Buch heißt „Sex, Drugs und Köcherbau“ und ist sehr gut. Sein Pseudonym „Der flotte Totte“ ist weniger gut, aber auch nicht so neu. Totte Kühn lebt in Hamburg und mag, unter anderem, Lemuren.
facebook:
www.facebook.com/derflottetotte
instagram:
www.instagram.com/der_flotte_totte
0 Kommentare